Co-Abhängigkeit in der Beziehung: Wenn der Partner zu viel trinkt
Der Begriff der Co-Abhängigkeit wurde erstmals in den 1940er Jahren in den USA geprägt und bezog sich damals bereits auf Angehörige von alkoholkranken Personen. Der Sammelbegriff beschreibt verschiedene Verhaltensweisen gegenüber Suchtkranken, mit denen die Sucht ungewollt zusätzlich gefördert wird. Co-Abhängigkeit in der Beziehung kann sich für Co-Abhängige zunehmend problematisch entwickeln, daher ist es von großer Bedeutung, dass Betroffene Warnsignale rechtzeitig erkennen.
Was ist Co-Abhängigkeit bei einem süchtigen Partner?
Allgemeine Definition von Co-Abhängigkeit
Tatsächlich gibt es bisher keine wissenschaftlich anerkannte Definition des Begriffes Co-Abhängigkeit. Mittlerweile ist er jedoch nicht mehr alleine auf Angehörige von Alkoholikern beschränkt, sondern auf Suchtkranke generell.
Co-Abhängigkeit ist ein komplexes psychologisches Konzept, das sich mit Auswirkungen von Suchterkrankungen auf Partner, Kinder und andere nahe Angehörige beschäftigt. Oftmals sind diese nämlich ebenfalls in die Suchterkrankung des Betroffenen verstrickt.
Mit unterschiedlichen Verhaltensweisen versuchen Co-Abhängige, den Süchtigen zu unterstützen. Das Problem: Die Handlungen sind in der Regel gut gemeint, fördern und verstärken aber ungewollt die Sucht des Partners. Experten sprechen daher auch statt von Co-Abhängigkeit von suchtförderndem Verhalten.
Nicht jede Beziehung zu einem suchtkranken Menschen führt automatisch in eine Co-Abhängigkeit, allerdings steigt das Risiko mit der Zeit weiter an. Da co-abhängiges Verhalten vielfach unbewusst stattfindet, sind die Grenzen fließend.
Als betroffene Person merkt man oft zu spät, dass man in eine Co-Abhängigkeit verstrickt ist. Daher ist es wichtig, die typischen Anzeichen zu erkennen und richtig zu deuten.
Charakteristika von Co-Abhängigkeit
Die folgenden Merkmale sind charakteristisch für eine Co-Abhängigkeit:
- Selbstaufgabe: Co-abhängige Personen neigen dazu, eigene Bedürfnisse, Wünsche und Interessen zurückzustellen, um die Bedürfnisse, Wünsche und Interessen einer anderen Person zu erfüllen.
- Kontrollierendes Verhalten: Co-Abhängige sind oft bestrebt, die Kontrolle über Handlungen, Emotionen und Entscheidungen einer anderen Person zu übernehmen, um auf diese Weise deren Wohlergehen sicherzustellen.
- Geringes Selbstwertgefühl: Das Selbstwertgefühl von co-abhängigen Menschen hängt oft von einem anderen Menschen und dessen Wohlwollen und Akzeptanz ab.
Wie äußert sich Co-Abhängigkeit in einer Beziehung?
Typische Verhaltensweisen von Co-Abhängigen
In einer Beziehung äußert sich co-abhängiges Verhalten besonders häufig durch vermeintliche Fürsorge, die jedoch tatsächlich nicht hilfreich ist. So werden dem alkoholkranken Partner beispielsweise Alkohol gekauft oder Haushaltsaufgaben abgenommen. Manche entschuldigen den abhängigen Partner auch beim Arbeitgeber, um den Rausch, eine Alkoholfahne oder andere akute und chronische Probleme zu vertuschen.
Zunächst wird die Suchterkrankung des Partners meistens heruntergespielt, sowohl im Kontakt mit anderen als auch in der Partnerschaft. Bei Familientreffen wird der Umgang mit Alkohol durch suchtkranke Partner bagatellisiert oder relativiert. Es werden immer wieder Entschuldigungen („gerade ist viel Stress auf der Arbeit“) gesucht und gefunden.
Mit der Zeit entwickeln viele co-abhängige Personen dann ein immer stärkeres Kontrollverhalten und versuchen, ihren Partner oder ihre Partnerin damit vom Trinken bzw. Drogenkonsum abzuhalten, was jedoch immer wieder scheitern muss (und scheitert).
Ursachen von Co-Abhängigkeit
Kindheitserfahrungen und familiäre Prägungen
Viele co-abhängige Persönlichkeiten haben oft schon in der Kindheit Verhaltensmuster erlernt, in die sie später in Beziehungen immer wieder zurückfallen. Sie haben früh erfahren, dass es für sie keine selbstlose Liebe gibt, weshalb sie sich Liebe und Zuneigung durch Leistung oder eigene Opfer „verdienen“ müssen.
Die Ursachen dafür können vielfältig sein; häufig sind ein oder beide Elternteile ebenfalls suchtkrank oder es gibt andere schwerwiegende psychische Erkrankungen in der Familie. Kinder und andere Angehörige von Alkoholikern haben darum ein besonders hohes Risiko, eine Co-Abhängigkeit zu entwickeln.
Einfluss früherer Beziehungen
Neben den Beziehungen zu unseren Eltern können auch Beziehungen zu anderen Menschen uns maßgeblich beeinflussen und prägen. Erfahrungen mit emotionaler Abhängigkeit, manipulativem Verhalten oder permanenter Verunsicherung haben einen erheblichen Einfluss, ebenso wie umgekehrt eine stabile, gesunde Beziehung auf Augenhöhe dauerhaft Sicherheit und Stabilität vermittelt.
Gefahren und Folgen von Co-Abhängigkeit
Persönliche Konsequenzen für den Co-Abhängigen
Der Umgang mit Alkoholikern und anderen Suchtkranken wird für Angehörige und Freunde mit der Zeit immer schwieriger und konfliktträchtiger. Anfänglich wird das Trinkverhalten oft nicht als problematisch wahrgenommen; Alkohol wird gemeinsam oder im Kreise von Freunden und Bekannten konsumiert, und über gelegentliche Exzesse lässt sich leicht hinwegsehen.
Mit der Zeit wird das Suchtverhalten des Partners jedoch eine immer stärkere psychische Belastung, die psychische Erkrankungen wie Depressionen und andere gesundheitliche Probleme zur Folge haben kann.
Co-Abhängige können auf steigenden Druck von innen (Selbstzweifel, Angst vor Einsamkeit) und außen (vom Suchtkranken ebenso wie vom Umfeld aus Freunden, Bekannten, Kollegen, Nachbarn etc.) mit psychosomatischen Reaktionen wie Kopf- oder Magenschmerzen, Angststörungen oder sogar Panikattacken reagieren.
Auswirkungen von Co-Abhängigkeit auf die Beziehung
Eine Sucht wie Alkoholismus stellt eine Krankheit dar, die durch eine geeignete Therapie behandelt werden muss, um die negativen Konsequenzen für Suchtkranke und co-abhängige Personen in ihrem Umfeld zu begrenzen. Allerdings kann eine Therapie nur erfolgreich sein, wenn der/die Suchtkranke sie aus eigenem Willen anstrebt und durchhält.
Durch eine co-abhängige Beziehung wird dieser Wille aber nicht gefördert, im Gegenteil: Co-Abhängige unterstützten ihre suchtkranken Partner ungewollt durch ihr Verhalten. Das führt zu einem ständigen Ungleichgewicht und mit der Zeit immer mehr zur emotionalen Erschöpfung der co-abhängigen Personen.
Auswirkungen auf die Kinder
Bei Co-Abhängigkeit in der Beziehung sind nicht immer nur zwei (erwachsene) Partner involviert, sondern häufig auch Kinder. Schätzungen zufolge leben in Deutschland etwa 2,65 Millionen minderjährige Kinder mit mindestens einem Elternteil zusammen, der alkoholabhängig ist oder Alkohol in gesundheitsschädlichen Maßen konsumiert.
Verschiedene Studien kamen hierbei zu dem Ergebnis, dass Kinder und Jugendliche aus Familien mit Suchtproblemen ein erhöhtes Risiko für das Auftreten von psychischen Störungen sowie für die Entwicklung von eigenen Suchtproblemen haben.
Ebenso treten Depressionen, Angst- und Persönlichkeitsstörungen sowie Aufmerksamkeits- und Störungen des Sozialverhaltens häufiger auf als bei Kindern und Jugendlichen ohne mittelbare Erfahrungen mit Sucht und Alkoholmissbrauch.
Gefährliche Dynamiken
Oft fällt es Betroffenen selbst dann schwer, sich aus ihrer Co-Abhängigkeit in der Beziehung zu befreien, wenn sie diese und die damit verbundenen Risiken klar erkannt haben. Das Abgrenzen zum suchtkranken Partner mag trotz starker Bemühungen aus eigener Hand oftmals einfach nicht gelingen.
Die Dauerbelastung kann im schlimmsten Fall sogar zu einer eigenen Suchterkrankung führen, was gerade bei Alkohol besonders gefährlich ist. Denn Alkoholkonsum (auch das übermäßige Trinken) wird in unserer Gesellschaft breit toleriert und zu vielen Gelegenheiten sogar beworben und gefördert.
Woran erkenne ich, dass ich co-abhängig bin?
Selbsttest: Warnsignale einer Co-Abhängigkeit
Eine Co-Abhängigkeit entsteht nicht über Nacht, sondern wächst aus zahlreichen Erfahrungen im Umgang mit Suchtkranken. Umso wichtiger ist es, mögliche Warnsignale zu kennen und richtig einzuordnen. Die folgenden 5 Verhaltens- und Denkmuster können solche Warnzeichen für eine beginnende oder bestehende Co-Abhängigkeit in der Beziehung sein:
- Übermäßige Verantwortung für den Süchtigen übernehmen: Sie fühlen sich für das Verhalten, dessen Konsequenzen oder die Emotionen der suchtkranken Person verantwortlich und versuchen, Probleme für sie zu lösen.
- Vernachlässigung der eigenen Bedürfnisse: Eigene Wünsche, Ziele und Gesundheit werden zugunsten des Süchtigen vernachlässigt, wodurch das eigene Wohlbefinden leidet.
- Schuldgefühle und Angst vor Konfrontation: Man hat Angst, Grenzen zu setzen oder den Süchtigen zu konfrontieren, aus Angst, dass er sich abwendet oder noch tiefer in die Sucht rutscht.
- Verharmlosung und Rechtfertigung des Suchtverhaltens: Man entschuldigt oder rechtfertigt das Verhalten des Süchtigen und findet Erklärungen, warum es „nicht so schlimm“ ist.
- Emotionales Auf und Ab abhängig vom Verhalten des Süchtigen: Die eigene Stimmung schwankt stark je nach Verhalten der suchtkranken Person – Phasen der Hoffnung wechseln sich mit Enttäuschung und Frustration ab.
Wie löse ich mich aus der Co-Abhängigkeit in meiner Beziehung?
Erste Schritte zur Befreiung
Um sich aus einer Co-Abhängigkeit in einer Beziehung zu lösen, ist ein erster wichtiger Schritt die Selbsterkenntnis. Akzeptieren Sie die Co-Abhängigkeit und stellen Sie sich ihr. Das müssen Sie vermutlich allein tun, v. a. wenn ihr Partner keine Krankheitseinsicht zeigt. Sprechen Sie offen über Ihre Gedanken, Ängste und Erwartungen mit Freunden, Verwandten oder anderen Bezugspersonen.
Entwicklung eines gesunden Selbstwertgefühls
Schaffen Sie sich Freiräume, etwa durch ein neues Hobby oder neue soziale Kontakte, die Ihnen Kraft geben. Konzentrieren Sie sich auf Ihre eigenen Wünsche und Bedürfnisse (besonders dann, wenn Sie das vielleicht lange nicht mehr gemacht haben) und üben Sie es, in Beziehungen Grenzen zu setzen, um sich zu schützen.
Professionelle Unterstützung
Bei langjähriger oder besonders ausgeprägter Co-Abhängigkeit in der Beziehung kann es hilfreich sein, sich professionelle Hilfe zu holen, etwa in Form einer Paar- oder Psychotherapie. Auch der (anonyme) Austausch mit anderen Betroffenen in Selbsthilfegruppen kann Ihnen helfen, Klarheit über Ihre eigene Rolle und Ihre Optionen zu erlangen.
Trennung als letzter Ausweg
Alkoholismus ist eine psychische Erkrankung, die massive Auswirkungen auf Betroffene und deren Umfeld hat. Die eigene Sucht kann nur der Süchtige selber überwinden; co-abhängige Personen sind dabei keine Hilfe oder Unterstützung.
Besonders, wenn Kinder im Spiel sind, keine Krankheitseinsicht besteht oder Sie merken, dass der Alkoholismus Ihres Partners sich zunehmend negativ auf Ihre Beziehung auswirkt, sollten Sie sich Hilfe suchen – und ggf. auch eine Trennung in Erwägung ziehen, um sich zu schützen.
Beratungsstellen und Ressourcen
Wichtige Anlaufstellen für Co-Abhängige
Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) ist eine zentrale Dachorganisation der deutschen Suchthilfe und Sucht-Selbsthilfe. Zu ihren Aufgaben zählen u. a. Angebote zur Suchtprävention, Unterstützung der Sucht-Selbsthilfe sowie Öffentlichkeitsarbeit.
Die Co-Dependents Anonymous (CoDA) arbeiten auf Grundlage des 12-Schritte-Programms der Anonymen Alkoholiker und veranstalten bundesweit regelmäßige Gruppentreffen, bei denen Betroffene sich persönlich austauschen können.
Auch AI Anon für Angehörige von Alkoholikern versteht sich als Selbsthilfegemeinschaft, die mit dem 12-Schritte-Programm arbeitet (anonym wie bei CoDA).
Literaturempfehlungen
Die folgenden drei Buchempfehlungen beschäftigen sich mit dem Thema Co-Abhängigkeit:
- Ich will mein Leben zurück! Selbsthilfe für Angehörige von Suchtkranken
- Mitgefangen in der Sucht: Wie du dich aus der Co-Abhängigkeit bei Alkoholismus befreist
- Familienmitglied Alkoholismus: Alkoholsucht in der Familie - Alkoholabhängigkeit erkennen und behandeln
Schlusswort
Alkoholismus ist ein weit verbreitetes Problem, unter dem nicht nur die Betroffenen selbst leiden, sondern auch andere Menschen, z. B. Kinder oder Partner. Diese entwickeln oftmals Co-Abhängigkeiten, durch die sie die Abhängigkeit aus „edlen Motiven“ ungewollt weiter verstärken.
Co-Abhängigkeit steht nicht nur der erfolgreichen Therapie von Suchterkrankungen entgegen, sondern kann auch der Auslöser für eigene psychische Beschwerden sein. Daher ist es besonders wichtig, sich frühzeitig Hilfe und Unterstützung zu suchen, etwa in Form einer Therapie oder in Selbsthilfegruppen.
Wenn Sie das Gefühl (oder die Sorge) haben, in Ihrer Beziehung co-abhängig zu sein oder zu werden, überwinden Sie sich und nehmen Sie z. B. an einem anonymen Treffen von Co-Abhängigen teil. Dort können Sie über Ihre Ängste sprechen und erleben, dass Sie damit nicht alleine auf der Welt sind.
Ihre
Ilona von Serényi aus der Eheberatung Aachen
Zuletzt aktualisiert: 01.02.2025
Quelle:
Kinder suchtkranker Eltern: Feito Caldas, A. (2023, 30. Juli). Alles, was ich euch über Kinder alkoholabhängiger Eltern erzähle, ist eine Lüge. 28years.de.