Corona - Herausforderungen als Paar bewältigen
Beziehungskrise wegen Corona? Die Pandemie hat in vielen Beziehungen für neue Konflikte gesorgt – oder alte Probleme verstärkt
Jede ungewohnte Situation, zumal, wenn man in die auch noch unfreiwillig hineingerät, ist eine Belastungsprobe für die Beziehung. Die Corona-Pandemie hat uns alle erwischt: eine Ausnahmesituation für die ganze Menschheit, mit der sich jeder und jede seit rund eineinhalb Jahren täglich beschäftigen muss. Bereits seit dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 leben wir mit ganz neuen Unsicherheiten, bisher unbekannten Einschränkungen im Alltag und großen unfreiwilligen Veränderungen in der häuslichen Situation und dem sozialen Umfeld. Viele haben durch den neuen Corona-Alltag (z. B. die Arbeit im Home Office, Wechsel- und Distanzunterricht oder den Wegfall der gewohnten Kinderbetreuung) ihren Partner oder ihre Partnerin in neuen Situationen und oftmals von weniger vertrauten Seiten erlebt. Das kann einer Partnerschaft durchaus guttun, etwa wenn die Paarbindung durch die gemeinsam bestandenen Herausforderungen noch enger wird oder die Familie in der schweren Zeit näher zusammenrückt. Häufig führte die unfreiwillige Nähe, für die viele Paare schon räumlich gar nicht richtig eingerichtet waren, jedoch zu unbequemer Enge und in der Folge zu mehr Streit und einer dauerhaft angespannten Stimmung. Einfach, weil es keine Möglichkeit gab, allein oder gemeinsam dem Stress zu entkommen.
Fernbeziehung während der Pandemie – oder schnell noch zusammenziehen?
Gerade zu Beginn der Corona-Beschränkungen haben sich viele Paare dazu entschieden, schneller als geplant zusammenzuziehen, um nicht durch die Pandemie in eine Fernbeziehung gezwungen zu werden. Die Angst vor Isolation, Entfremdung und Einsamkeit war (und ist) durch die Krise generell größer geworden, doch die Entscheidung zum schnellen Umzug hat in vielen Fällen zur Trennung statt zu einer festeren Bindung geführt. Die zahlreichen Paare, die sich stattdessen tatsächlich auf eine coronabedingte Fernbeziehung einlassen mussten, hatten ebenfalls mit einer frustrierenden „Zwangslösung“ zu kämpfen. Der fremdbestimmte Mangel an körperlicher Nähe kann eine Beziehung weit stärker belasten als erwartet; hier hat sich Corona vielfach als Beziehungskiller erwiesen.
Alte Probleme vertiefen sich
Egal ob junge Liebe oder langjährige Ehe: In jeder Partnerschaft gibt es bekannte Probleme, mit denen sich das Paar von Zeit zu Zeit befasst und darum meist auch eine gewisse Routine damit entwickelt hat. Das können schlechte Angewohnheiten sein oder bestimmte Neigungen und Verhaltensweisen, die trotz wiederholter Kritik oder Besserungswunsch immer wieder störend in Erscheinung treten.
Fallen die sonst gewohnten Rückzugsmöglichkeiten, Freizeitaktivitäten und Freiräume im Alltag weg, können solche kleinen Reibereien immer weiter eskalieren. Durch die angespannte Situation sinkt nicht nur die Toleranz gegenüber den Fehlern des Partners, sondern diese Fehler können sich auch sehr drastisch und oftmals unerwartet verstärken. So kann etwa ein Mensch, der schon immer ein gewisses Misstrauen gegenüber der Politik hegte, plötzlich mit extremen Gruppierungen liebäugeln oder sich von furchterregenden Verschwörungsmythen angezogen fühlen. Oder jemand, der vorher im Zorn oft „nur“ laut wurde, wird zum ersten Mal auch körperlich gewalttätig und versetzt seine Familie damit zusätzlich in Angst und Schrecken. Auch sexuelle Probleme können sich verstärken, denn Gefühle wie Angst, Kontrollverlust, Frustration, Hilflosigkeit oder Wut wirken sich generell ungünstig auf die Libido und das Liebesleben aus.
Unerfüllte und überzogene Erwartungen verstärken Konflikte
Schon seit vielen Monaten sieht, liest und hört man allenthalben von Menschen, die während der Krise zu geistigen und charakterlichen Höchstleistungen auflaufen. Sie starten etwa besondere Kreativprojekte oder helfen mit ihrem persönlichen Engagement und trotz der eigenen Schwierigkeiten anderen dabei, in der Krise fit zu bleiben oder auf andere Art ihr Leben zu verbessern. Wer jedoch einfach nur versucht, für sich, in der Partnerschaft und mit der Familie zurechtzukommen, einen Weg durch die schwere Zeit zu finden und jeden Tag möglichst konstruktiv zu bewältigen, kann da durchaus den Eindruck gewinnen, das sei nicht genug. Müsste man nicht gerade jetzt mehr tun und die Zeit sinnvoller nutzen? Etwa wichtige Lebensentscheidungen treffen, an der eigenen Beziehung arbeiten, Langzeitpläne schmieden oder ebenfalls Kreativprojekte starten? Oder wenigstens die Wohnung renovieren?
Nein, muss man nicht. Ausnahmesituationen und Extrembedingungen sind generell keine guten Ratgeber für Entscheidungen, die auch das „Leben danach“ betreffen. Hören Sie auf Ihre innere Stimme: Ein guter Maßstab für die „Qualität“ einer Aktivität ist ihr Potenzial, Stress abzubauen, ohne dabei oder danach neuen Stress zu erzeugen. Und setzen Sie sich nicht unter Druck: Hat Ihr Partner oder Ihre Partnerin Lust, sich kreativ auszuleben oder etwas Neues auszuprobieren, um die Zeit bis zur Rückkehr der Normalität besser zu nutzen, dann bedeutet das nicht, dass Sie das auch tun müssen.
Streit über den „richtigen“ Umgang mit Corona
Das ist wirklich ein ganz neues Kapitel im großen Buch der Paarprobleme. Noch vor weniger als zwei Jahren musste sich damit kein Eheberater oder Paartherapeut auf der ganzen Welt beschäftigen. Doch inzwischen gibt es schon sehr viele Beziehungen – nicht nur Paarbindungen, sondern auch ganze Familien, Freundes- und Kollegenkreise, Haus- und Dorfgemeinschaften – die wegen ihres unterschiedlichen Umgangs mit der Corona-Pandemie tief gespalten, zerstritten oder zerrüttet sind.
Viele erkennen den Partner oder die Partnerin kaum noch wieder, weil diese(r) sich plötzlich zu den Pandemieleugnern oder Impfgegnern zählt, einer bestimmten Verschwörungserzählung verschrieben oder einer extremen Gruppierung angeschlossen hat. Besonders schlimm ist eine solche Entwicklung, wenn sie völlig überraschend gekommen ist. Aber auch, wenn schon vorher eine Neigung zu solchen Geschichten oder Ansichten bestand, ist es schwer auszuhalten, wenn ein geliebter Mensch in eine ganz andere Ideenwelt, ein nicht nachvollziehbares Weltbild entgleitet.
Tatsächlich gibt es in solchen Fällen kein Patentrezept. Sie können aushalten, abwarten und hoffen, dass sich mit der Gesamtsituation auch die Nerven und Gemüter wieder entspannen und verträglicher werden. Dann sollten auch die Mythen wieder in den Hintergrund treten, in dem sie seit jeher ihren Platz finden. Hat sich Ihr Partner oder Ihre Partnerin stark verändert, stellen Sie sich in ruhigen Minuten die Frage: Glaube ich, dass wir wieder zur vertrauten Normalität zurückfinden können? Bin ich bereit und fähig, diese „Eskapaden“ bis dahin zu ertragen? Kann ich auf diesen Moment warten, selbst wenn es unbestimmte Zeit dauern wird? Schaffe ich das, ohne meinen Respekt zu verlieren? Und werde ich mich danach auf meine Partnerin, meinen Partner wieder so verlassen können wie vorher? Oder werde ich in Zukunft immer Angst haben, dass in einer neuen Konfliktsituation abermals radikale Veränderungen den inneren und äußeren Frieden und Zusammenhalt beeinträchtigen?
Bei radikalen Persönlichkeitsveränderungen helfen meist weder die Logik noch ein Appell an die Gefühle. Erwiesenermaßen handelt es sich bei solchen Entwicklungen, die zum Teil durchaus dem klinischen Bild einer psychischen Erkrankung entsprechen, meist um langfristige Prozesse, die nur scheinbar „aus dem Nichts“ auftauchen. Daher können sie sich auch nicht einfach wieder in Nichts auflösen, sondern die Betroffenen müssen selbst einen Ausweg wünschen, und der kann lang und schwierig sein.
Wie die Pandemie Partnerschaften stärken und Beziehungen positiv beeinflussen kann
Weil Krisen zwar immer auch Chancen, in erster Linie jedoch Krisen sind, bringt Corona für Ehen und Partnerschaften mehr Gefahren und Konfliktpotenzial als potenzielle Verbesserungsmöglichkeiten. Doch natürlich gibt es auch Chancen, die nicht nur die Paare selbst bemerken, sondern auch Eheberater und Paartherapeuten.
So berichten mir viele, dass sie erst während der Pandemie erkannt haben, welchen wertvollen Menschen sie an ihrer Seite haben. Wie er oder sie als sprichwörtlicher Fels in der Brandung neben ihnen steht, allen Gefahren trotzt und die Partnerschaft zu einer Oase der Sicherheit in schwierigen Zeiten macht.
Viele haben auch die häufigere Zweisamkeit nicht als Zwang oder Belastung, sondern als Geschenk erlebt. Plötzlich gab es die Gelegenheit, mit dem Partner den gesamten Alltag zu teilen und jede Stunde gemeinsam zu erleben, statt sich abends zu „briefen“, was jeder heute getan hat und was für morgen geplant ist.
Viele Paare berichten auch, es habe ihnen gutgetan, ihre persönliche Rollenverteilung neu zu überdenken. Im selben Raum zu arbeiten oder die Kinder gemeinsam zu betreuen hat sie näher zusammengebracht und neue liebenswerte Perspektiven eröffnet. Einige Paare haben sich vorgenommen, auch nach der Pandemie öfter gemeinsam dem sprichwörtlichen Hamsterrad zu entfliehen, sich stärker aufeinander zu besinnen und weniger „aneinander vorbei zu leben“.
Ich wünsche Ihnen Gesundheit, Zuversicht und viel Kraft, um für sich und in Ihrer Partnerschaft gute Wege durch die Krise zu finden und möglichst unbeschadet daraus hervorzugehen.