Ehestreit aus Sicht moderner Eheberatung
Streit in der Ehe: Zu viel davon ist Gift für die Liebe, zu wenig aber auch. Praxistipps zu Auseinandersetzungen in Ehe und Partnerschaft, Näheres zu häufigen Gründen und Themen sowie Tipps zu gemeinsamer, konstruktiver Streitkultur.
In nahezu jeder Ehe wird zumindest ab und zu gestritten. Meist geht es dabei um alltägliche Dinge, von denen es in einer langfristig ausgelegten Lebenspartnerschaft naturgemäß sehr viele gibt. Das Zusammenleben will Tag für Tag aufs Neue geplant, organisiert und gestaltet werden, und selbst bei Paaren, die sich grundsätzlich gut verstehen, kommt es dabei immer mal wieder zu Meinungsverschiedenheiten.
Laut Umfragen und statistischen Erhebungen sorgen diese Themen in Deutschland am häufigsten für Streit in der Ehe:
- Verschiedene Auffassungen von Sauberkeit und Ordnung,
- alltägliche Geldfragen,
- Angewohnheiten des Partners, die als schlecht oder störend empfunden werden,
- die Angehörigen (vor allem Eltern bzw. Schwiegereltern),
- die Aufgabenteilung und Organisation im Haushalt,
- grundsätzliche Fragen zur Kindererziehung bzw. zum Umgang mit den Kindern,
- das Verhalten des Partners beim Autofahren,
- die persönliche Freiheit der Partner, etwa bei Unternehmungen außerhalb der Beziehung bzw. Familie,
- die Frage, ob der Beruf wichtiger ist oder das Privat- bzw. Familienleben,
- wichtige Entscheidungen in der Lebens- oder Vermögensplanung (z. B. eine größere Anschaffung, ein längerer Auslandsaufenthalt oder das Aufnehmen eines Kredits),
- die Verteilung der Aufgaben bei der Erziehung der Kinder,
- Karrierefragen (z. B. wer beruflich zurücksteckt, wenn die Situation es erfordert), sowie
- unterschiedliche Auffassungen, wenn es darum geht, sich um kranke oder alte Familienangehörige zu kümmern.
Wie und warum ein Paar streitet ist abhängig von den persönlichen Veranlagungen und Erfahrungen beider Partner, ihrer aktuellen Situation und ihrem sozialen Umfeld. Ein wichtiger Faktor für das dauerhafte gemeinsame Glück ist eine gemeinsame Streitkultur. Sie sorgt beispielsweise dafür, dass auf den Streit wieder eine Versöhnung folgt und beide Partner dazu bereit sind, sich über das „Dampfablassen“ hinaus für die Entschärfung und langfristige Verbesserung der Situation zu engagieren.
Gute Streitkultur erfordert Vertrauen, Glauben an die gemeinsame Zukunft und natürlich auch den Glauben an mögliche Verbesserungen. Je höher der allgemeine Stresspegel ist und je weniger äußere und innere Erholungspausen das Paar sich gönnt, desto eher eskalieren die Auseinandersetzungen und schaukeln sich in der Folge zu handfesten Ehekrisen oder chronischen Beziehungsproblemen hoch. Wer es dann nicht (oder nicht mehr) für möglich hält, dass der Streit auch etwas Positives bringt, der kann sich ebenso gut aufs gewohnheitsmäßige Dauernörgeln verlegen oder nach und nach ins Schweigen zurückziehen – und genau darin liegt die größte Gefahr bei unbewältigten oder falsch ausgetragenen Konflikten.
Wie streite ich, wie streitet mein Partner, und wie streiten wir am besten miteinander?
Wenn es Streit in einer Ehe gibt, laufen bei jedem Beteiligten bestimmte Programme ab. Gewöhnlich setzen Menschen auf ein Streit- und Konfliktverhalten, das sie in der entsprechenden Situation für besonders lohnenswert bzw. Erfolg versprechend halten. Der erhoffte Erfolg kann jedoch viele Gesichter haben. So streiten wir zum Beispiel,
- um uns Gehör und Aufmerksamkeit zu verschaffen, die wir auf anderem Weg nicht ausreichend zu bekommen glauben,
- um unsere Wertvorstellungen zu zeigen oder durchzusetzen, wenn wir uns bei wichtigen Punkten und Entscheidungen vernachlässigt oder nicht ernst genommen fühlen,
- um Recht zu behalten, wenn wir von unserer Sicht der Dinge überzeugt sind und jeder Kompromiss nach Niederlage schmecken würde,
- wenn wir mit den Bedingungen eines Kompromisses nicht einverstanden sind und ihn darum nachverhandeln wollen,
- um Forderungen abzuweisen, die uns ungerechtfertigt erscheinen,
- um Gefahren aufzudecken oder abzuwehren, die der Partner offensichtlich nicht als solche erkennt,
- um lästige Aufgaben nicht erledigen oder über lästige Themen nicht nachdenken zu müssen,
- weil wir uns langweilen,
- weil wir heute schon mit schlechter Laune aufgewacht sind oder
- weil wir jetzt eigentlich gar nicht in der richtigen Stimmung zum Streiten sind.
Gemeinsame Streitkultur und individuelles Streitprogramm
Das individuelle Streitprogramm eines Menschen lässt sich gut mit einem Motor vergleichen. Manche setzen auf hohe Drehzahl, vergleichbar mit einem italienischen Sportwagen: Sie streiten offensiv, suchen die Herausforderung, gehen schnell „auf hundertachtzig“ und preschen sofort vor, wenn sie eine Lücke in der Argumentation des Partners entdecken. Oft reden sie schon los, bevor der zugrundeliegende Gedanke feste Form angenommen hat, lassen sich von ihren Worten mitreißen und neigen dazu, in der Hitze des Augenblicks den Partner zu unterbrechen oder seine Sichtweise komplett auszublenden. Folgerichtig gehen sie auch ein hohes Risiko ein, beim Streiten aus der Kurve zu fliegen und sich später für eine aufbrausende, verletzende oder unsachliche Bemerkung ebenso ambitioniert entschuldigen zu müssen.
Andere verfügen über einen Streitmotor, der einem Schiffsdiesel ähnelt: Es dauert lange, sie aus der Reserve zu locken oder gar in Wut zu bringen. Durch Stress, Hektik oder sprunghaftes Verhalten fühlen sie sich in ihrer gleichmäßigen Laufruhe gestört, und viele tun alles, um eine direkte Kollision zu vermeiden. Gelingt es ihnen nicht, den Weg durch ein deutliches Signal freizumachen oder den einmal eingeschlagenen Kurs durch Ausweichmanöver beizubehalten, neigen sie eher zum Ausbremsen, zum Abwarten oder zum Rückzug.
Viele „Schiffsdieseltypen“ sehen im Stillhalten die besten Chancen, einen Streit heil zu überstehen, den Partner zu versöhnen und die Situation wieder zum Besseren zu wenden. Davon halten die „Sportwagentypen“, die jedes Manöver besser finden als kein Manöver, allerdings wenig: Das Schweigen und Bleibenlassen des Partners empfinden sie eher als Verweigerung, Provokation oder Herabsetzung. Dabei stellt es, ebenso wie die Lust zur Initiative und der Mut zur Konfrontation, eine durchaus erlernens- und praktizierenswerte Kunst im Bereich des Zwischenmenschlichen dar.
Wer sich bei häufigem Streit in der Ehe oft und schwer missverstanden fühlt, sollte darum sowohl sein eigenes Streitprogramm als auch das seines Partners genauer unter die Lupe nehmen – und dabei idealerweise bei beiden die besten Grundabsichten voraussetzen. Häufig geraten Konflikte aus dem Ruder, wenn man das Verhalten des Partners zu sehr mit dem eigenen vergleicht und nur die eigenen Bewertungsmaßstäbe anlegt. Dabei kann man schnell vergessen, dass man keinem Menschen in den Kopf gucken kann – nicht einmal denen, die man am meisten liebt und die einem am nächsten stehen.
Da die Motive während des Streits oft weder weise noch richtig durchdacht sind, zählen vor allem die zugrundeliegenden Absichten – und natürlich die Ergebnisse. Die müssen für beide Partner nachvollziehbar sein und grundsätzlich positiv bewertet werden. Ein Streit, der sich nur für einen gelohnt hat, hat ein schlechtes Ergebnis gebracht: Einseitige Auseinandersetzungen und Erfolge vergiften auf Dauer die Atmosphäre und zwingen das Paar außerdem meist dazu, den gleichen Streit in der Ehe mit denselben Argumenten immer wieder neu aufzulegen. Neue Impulse, etwa durch offene oder moderierte Gespräche in der Paarberatung bzw. Partnertherapie, sind oft sehr hilfreich beim Erkennen und Durchbrechen destruktiver Verhaltensweisen, die einer echten und nachhaltigen Konfliktlösung immer im Wege stehen.
Die gefährlichsten Phasen für Streit in der Ehe
Im Verlauf einer Ehe bzw. Lebenspartnerschaft wechseln sich naturgemäß heiße und kühlere Zeiten, anstrengende und ruhige Jahre ab. Eheberater und Paartherapeuten lernen Paare kennen, die in verschiedenen Phasen ihrer Ehe ganz unterschiedliche Beziehungsprobleme lösen möchten bzw. müssen. Praxis und Erfahrungen der Eheberatung und Paartherapie untermauern dabei die aktuellen Scheidungsstatistiken, nach denen das Risiko für Streit in der Ehe in bestimmten Beziehungsphasen besonders hoch ist. Gefährlich in diesem Sinne sind vor allem Zeiten, in denen Dritte in die bereits erprobte Zweisamkeit eindringen bzw. grundlegende Veränderungen der Lebensumstände auch eine Umgestaltung des Zusammenlebens notwendig machen.
Umbruch: Geburt eines Kindes
Die Geburt eines Kindes stellt einen solchen Umbruch dar. Viele Paare bereiten sich auf das freudige Ereignis sorgfältig und gründlich vor – und fühlen sich dann trotzdem mit der neuen Situation überfordert. Jedes Kind, ob geplant oder ungeplant, bedeutet eine unüberschaubare Menge von Unvorhersehbarkeiten und außerdem eine deutliche Einschränkung der Selbstbestimmung. Das sind Faktoren, die man nicht von einem Tag auf den anderen begreifen und hinnehmen kann. Man braucht Neugier, Zeit, Energie und Muße, um gemeinsam hineinzuwachsen und seine Räume als Individuen, Liebespartner und Eltern neu auszuloten.
Jedes Ehepaar, das diese Herausforderung vor Jahren zusammen gemeistert hat, erinnert sich an eine aufregende Zeit, in der Glück und Zweifel, Angst und Mut oft sehr eng beieinanderlagen. Kinder gemeinsam großzuziehen und aufwachsen zu sehen, kann zwei Liebende sehr fest zusammenschweißen und zum Sinn- und Taktgeber ihres gemeinsamen Lebens werden. Aus psychologischer Sicht ist es darum allerdings auch nicht verwunderlich, dass das Selbstständigwerden und schließlich der Auszug der Kinder ebenfalls für bedeutende Umbrüche und oft für Streit in der Ehe der Eltern sorgen. Die Notwendigkeit, erwachsen gewordene Kinder loszulassen und die Verantwortung für ihr Wohlergehen wieder abzugeben, birgt jedoch neue Chancen, sich wieder auf sich selbst zu besinnen und ohne das typische schlechte „Elterngewissen“ auch mal wieder das eigene Glück in den Mittelpunkt zu stellen.
Vertrauenskrise: Seitensprung
Seitensprünge und andere schwerwiegende Vertrauenskrisen rütteln an den Grenzen einer Ehe und können ihre Grundfesten erschüttern. Dabei muss das eindringende „Fremdelement“ nicht einmal eine konkrete Person sein, wie das bei einer Affäre der Fall ist. Auch ein fordernder Chef, ein unglücklicher Expartner, ein zu häufig gesehener Gast oder eine sich dauernd einmischende Schwiegermutter können für Streit in der Ehe sorgen, wenn die Stunden der Zweisamkeit immer seltener werden oder die Gespräche sich immer öfter nur noch um andere Menschen und äußere Umstände drehen statt um die eigenen Geschichten, Gedanken und Bedürfnisse. Oft geraten Ehepartner im Lauf der Zeit ganz schleichend in einen solchen Strudel der Fremdbestimmung und Selbstaufgabe – bis sie eines Tages realisieren, dass die Ehe zwar funktioniert, aber kaum noch Platz und Gelegenheiten für Liebe und Leidenschaft, zum Träumen, Lachen und Reden bietet.
Eheberatung hilft Beziehungsprobleme zu lösen
Spätestens dann wird es Zeit, die Bremse zu ziehen: In einer Eheberatung können gestresste Paare lernen, sich die verlorengegangenen oder mit Routineaufgaben verstellten Räume zurückzuerobern, ohne dabei den gewohnten Alltag und seine Aufgaben zu vernachlässigen. Den Partner und auch sich selbst in einer solchen Zeit neu zu entdecken, kann ein großes Abenteuer sein und hat schon in vielen scheinbar festgefahrenen Ehen das Feuer neu entfacht.
Bei akuten Ehekrisen, etwa nach einem Seitensprung oder der Eskalation eines seit Langem schwelenden Konflikts, kommen manche Paare auch zur Eheberatung, weil sie ihre Ehe retten möchten, aber nicht wissen, ob und wie das verletzte Vertrauen jemals wieder heilen wird. Auch hier hilft nur viel und offene Kommunikation, damit jeder erkennt, was er am anderen hat und was er selbst zu geben (oder aufzugeben) bereit ist, um die Beziehungsprobleme zu lösen. Wenn es darum geht, ob man der Ehe noch eine Chance gibt oder sich scheiden lässt, brauchen beide eine klare Vorstellung davon, was sie sich in Zukunft erwarten und erhoffen dürfen. Je größer dabei das Verständnis füreinander ist, desto wahrscheinlicher ist eine friedliche Einigung, und umso mehr lohnt sich der Versuch.