Der erste Streit in der neuen Beziehung
„Erste Wolken am Himmel der jungen Liebe“ – diese alte Redensart vergleicht den ersten Streit zwischen Liebenden mit dem Wetter. Auf den Moment bezogen bedeuten die Wolken das Ende des reinblauen Himmels; langfristig betrachtet sind sie jedoch etwas ganz Natürliches, da vor dem scheinbar statischen Hintergrund des blauen Himmels ständig jede Menge Bewegung herrscht. Und die kann und wird zwischendurch eben auch mal sichtbar werden.
Auf viele frisch Verliebte wirkt der erste Konflikt trotzdem wie ein Schock. Nach der Seligkeit und Einstimmigkeit der Anfangsphase bringt er häufig ein Gefühl jäher Ernüchterung, zuweilen gefolgt von tiefer Verunsicherung – ein richtiger Katzenjammer. Gerade wenn vorher alles eitel Wonne und Harmonie war, stehen nach dem ersten Streit plötzlich grundsätzliche Fragen und Zweifel im Raum: Kann es wieder so werden wie vorher, oder hat bereits der Anfang vom Ende begonnen? Hat der Streit sich gelohnt? Hat er überhaupt etwas gebracht, oder hätte er ebenso gut vermieden werden können? Kam er zu früh, oder war er vielleicht längst überfällig?
Nach dem ersten Streit geht es oft vorrangig darum, über den Schreck hinwegzukommen. Ist das erst einmal gelungen, zeigt sich vielfach, dass sich das schlechte Wetter bereits wieder verzogen hat. Das Wissen, es gemeinsam gut überstanden zu haben, stärkt die Zuversicht und das Vertrauen in den Partner. So kann der erste Streit die Beziehung vertiefen und die Partner noch enger zusammenwachsen lassen.
Schwieriger wird es hingegen, wenn beim ersten Streit Dinge ans Licht gekommen sind, die bisher verborgen waren, aber für den weiteren Verlauf der Beziehung entscheidend sind. Dann geht es nicht mehr nur darum, zu akzeptieren, dass große Nähe irgendwann auch einmal zu Konflikten führen kann, sondern darum, die neuen Erkenntnisse (über sich selbst und den Partner) zu verarbeiten und die Partnerschaft auf Grundlage des veränderten Wissensstands neu zu sondieren.
Was bedeutet der erste Streit für die Beziehung?
Hier bietet sich erneut der sehr positive und tröstende Wettervergleich an: Wolken am Himmel sind weder gut noch schlecht, sondern einfach ein Zeichen des ständigen Wechsels und Wandels der Natur. Wie sie von Menschen empfunden werden, hängt vor allem von deren Erwartungen ab – und natürlich davon, ob und wie sie auf die Veränderungen vorbereitet waren und wie sie darauf reagieren. Für den, der glaubt, der Himmel der Liebe müsse immer blau sein, ist jeder Regen ein eiskalter Guss. Wer in der neuen Beziehung jedoch mehr als einen sonnigen Wochenendausflug sieht, der wird mit hoher Wahrscheinlichkeit auch das nötige Rüstzeug für trübe Tage im Gepäck haben.
Für den ersten Streit gibt es keine wissenschaftlich fundierten Norm- oder Richtwerte. Wann er stattfindet, worum es geht und wie heftig er abläuft, ist von Paar zu Paar verschieden. Es gibt Paare, die sich von Anfang an streiten und das als völlig normal empfinden. Andere leben jahrelang zusammen, bevor sie das erste Mal richtig aneinandergeraten. Das sagt nichts über die Intensität, Tragfähigkeit oder Qualität der Beziehung aus, sondern höchstens über das Konfliktverhalten, die Streitkultur, die Kommunikationsgewohnheiten und die Prioritätensetzung der Beteiligten.
Die Bedeutung des ersten Streits lässt sich zudem häufig erst nach dem zweiten, dritten oder zehnten feststellen. Ging es jedes Mal um dasselbe Thema, ist die Ursache das wichtigste: Offenbar liegt ein nach wie vor ungelöstes, die Beziehung störendes Problem vor, dessen Aufarbeitung und Bewältigung die Hauptaufgabe ist. Haben unterschiedliche Streitpunkte jedes Mal zu übermäßiger Verwirrung, Erschütterung, Erschöpfung oder gar Eskalationen geführt, die die Versöhnung erschwerten, sollten die Partner vor allem an ihrer Kommunikation arbeiten und so zu mehr Klarheit und Deutlichkeit finden, also eine konstruktivere Streitkultur entwickeln.
Romantik und Umsicht schließen einander nicht aus
Im Streit lernen sich Menschen oft besser kennen als in Friedenszeiten. Vielfach kennen sich die Partner zu Beginn der Beziehung noch nicht wirklich und sind vor allem verbunden durch Gefühle, Wünsche und die gemeinsam erlebte Gegenwart. Ganz von selbst kommt jedoch gemeinsame Vergangenheit hinzu und macht daraus eine gemeinsame Geschichte. Und spätestens dann entstehen auch gemeinsame Zukunftspläne – oder zumindest klarere Vorstellungen davon, wie die Geschichte weitergehen kann bzw. soll.
Es ist also weder verwunderlich noch ungewöhnlich, dass sich viele Liebende in der Anfangszeit noch nicht mit Themen wie Familienplanung, alltäglicher Haushaltsführung, Verwandtenbesuch, Finanzen oder Urlaubsgestaltung beschäftigen – und es somit erst später entdecken, wenn ihre Gewohnheiten und Ansichten bei wesentlichen Punkten stark voneinander abweichen. Störende Details, die anfangs gern schöngefärbt oder heruntergespielt werden, kommen oft erst richtig ins Blickfeld und zur Debatte, wenn bereits vollendete Tatsachen geschaffen wurden – etwa nachdem das Paar eine gemeinsame Wohnung bezogen hat.
Um allzu bösen Überraschungen vorzubeugen, ist es daher empfehlenswert, in der Beziehung nichts zu überstürzen und die neue Zweisamkeit auch zu üben, beispielsweise bei einem längeren gemeinsamen Urlaub oder durch das schrittweise Zusammenlegen des Wohnraums. Auf feste Vorgaben, Bedingungen und Ziele sollten die Partner dabei erst einmal so weit als möglich verzichten: Entscheidungen, die unter Zeitdruck und Handlungszwang getroffen werden, sind oft nicht richtig durchdacht und führen zu späterer Reue.
Alle Menschen haben Launen
So, wie sich Temperatur, Windgeschwindigkeit und Niederschlagswahrscheinlichkeit von Tag zu Tag ändern und damit das aktuelle Wetter bestimmen, sind auch menschliche Stimmungen starken Schwankungen unterworfen. Geduld, Belastbarkeit, Leistungsbereitschaft und Zuversicht variieren nach der Tagesform – und die wiederum wird geprägt von vielfältigen äußeren und inneren Einflüssen. Haben beide Partner einen schlechten Tag, kann es schon wegen einer Kleinigkeit zum Streit kommen.
Oft werden Stimmungsschwankungen – im Volksmund auch Launen oder Grillen genannt – vor allem den Frauen zugesprochen. Begründet werden sie mit den hormonellen Veränderungen, die der weibliche Körper – und auch die weibliche Psyche – jeden Monat durchlebt. Dieses zyklusbedingte Auf und Ab der Frau ist zwar nicht von der Hand zu weisen, doch erstens wirkt es sich bei verschiedenen Frauen ganz unterschiedlich aus, und zweitens können auch Männer „ihre Tage“ haben – sie geben es nur seltener zu.
Das Wetter, die Hormone, die Kollegen, Geldsorgen, ein verpasstes Frühstück – auch Dinge, die sich außerhalb der Beziehung abspielen, werden mit nach Hause gebracht und können dort die Stimmung trüben oder für Streit sorgen. Partner, die sich schon sehr gut und lange kennen, haben hier meist schon Strategien entwickelt, um von außen oder „aus dem Blauen“ kommenden Frust, Ärger oder Streit nicht überbewerten, die wahren Gründe zu erkennen und notfalls auch mal gelassen abzuwarten, bis sich die Lage von selbst entspannt.
Ist die Beziehung jedoch noch frisch, sorgen plötzliche Stimmungsveränderungen häufig für Unsicherheit. Dann kann es helfen, dem Partner zu erklären, dass nicht er der Grund für die aktuelle Gereiztheit oder Traurigkeit ist, und ihn nicht zurückzuweisen, wenn er trotzdem gern helfen möchte. Auch der ehrliche Hinweis „Am liebsten würde ich jetzt eine Weile allein sein“ ist ein positives Signal, da er Vertrauen in das Verständnis des anderen vermittelt. Auch in der engsten Beziehung bleibt jeder Mensch ein Individuum – es ist daher wenig hilfreich, jede Laune des Partners gleich persönlich zu nehmen oder auf sich zu beziehen. Das führt allenfalls dazu, dass jede Mücke die Chance hat, zu einem Elefanten zu werden.
Kann der erste Streit schon den Gang zum Paarberater notwendig machen?
Grundsätzlich kann natürlich schon der erste Streit Schwierigkeiten ans Licht bringen, mit denen die Partner nicht alleine fertigwerden. Das ist beispielsweise der Fall, wenn die Auseinandersetzung gewalttätig wird oder ein vorher verschwiegenes Suchtproblem dabei eine Rolle spielt. Auch Untreue ist ein Thema: Geht einer der Partner schon zu Beginn der Beziehung fremd oder hat mit einer vorangegangenen Beziehung noch nicht abgeschlossen, fehlt die Vertrauensbasis – der andere fühlt zu Recht, dass die neue Liebe auf tönernen Füßen steht bzw. die Partnerschaft unter falschen Voraussetzungen eingegangen wurde.
Ob und wie ein Gespräch mit dem Paartherapeuten dann helfen kann, hängt vor allem von der grundsätzlichen Bereitschaft der Partner ab, die Beziehung trotzdem weiterzuführen. Das müssen natürlich beide wollen, sonst kann auch der beste Psychologe den Riss nicht kitten und wird eher zur – zumindest vorübergehenden – Trennung raten. Während dieser Auszeit haben beide dann die Gelegenheit, sich über ihre Gefühle, Motive und grundlegenden Argumente für und gegen die Partnerschaft klarzuwerden und gegebenenfalls persönliche Hindernisse für einen guten Neuanfang aus dem Weg zu räumen.
Wenn Menschen eine enge Beziehung bzw. feste Partnerschaft miteinander eingehen, beginnen sie auch mit dem Aufbau einer eigenen, gemeinsamen Welt.