Geschlechterklischees prägen das Rollenverhalten in einer Beziehung
Sowohl über die angebliche Gleichheit als auch über die angebliche Ungleichheit der Geschlechter wird viel gesagt und geschrieben – und das nicht erst seit dem Aufkommen des Feminismus. Bemerkenswert ist, dass der Mann dabei grundsätzlich schlechter wegkommt: Ihm wird seit Jahrhunderten die Täterrolle zugeschoben.
Der Mann an sich, so heißt es, sei unkommunikativ, triebgesteuert, gewaltbereit und stets auf der Flucht vor Verantwortung – ein geborener Macho, Jäger und Schläger, gelernter Unterdrücker und potenzieller Vergewaltiger, eigentlich in der Steinzeit hängengeblieben, aber aufgrund irgendwelcher furchtbarer Irrtümer trotzdem Herrscher der Welt.
Das weibliche Prinzip wird hingegen häufig als eine Art Allheilmittel angepriesen, die einfühlsame, sozial besser aufgestellte und zur Verantwortung geborene Frau dem Mann als Vorbild hingehalten. Überkommene weibliche Rollenklischees – Kinder, Küche, Kirche – werden mit Entrüstung oder nachsichtigem Lächeln quittiert und mit Leichtigkeit wegdiskutiert. Männliche Rollenklischees scheinen sich jedoch hartnäckig zu halten: Sie vertragen sich offenbar besser mit der political und sexual correctness – und werden auch von vielen Männern nicht hinterfragt, sondern bestätigt.
Während moderne Frauen sich also dagegen wehren, aufgrund ihrer Weiblichkeit als Opfer betrachtet zu werden, sollen moderne Männer immer noch einsehen, dass sie von Natur aus Täter sind, und dagegen ankämpfen. Ganz nebenbei hat die Wissenschaft bewiesen, dass es tatsächlich kaum Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt. Was ist da schiefgelaufen?
Klischees machen das Leben leichter
Früher hieß es, Frauen seien aufgrund ihrer Bestimmung zur Mutterschaft und häuslichen Verantwortung nicht geeignet für akademische Laufbahnen, Krieg und Politik. Nachdem sie sich den Zugang zu den Universitäten, das Wahlrecht und das Recht, aufs Schlachtfeld zu ziehen, erkämpft hatten, stellte sich heraus, dass sie dazu ebenso geeignet sind wie Männer.
Männer haben heute ebenfalls Zugang zu traditionellen Frauendomänen: Sie dürfen zu Hause bleiben und in ihrer Vaterrolle aufgehen, sie dürfen weinen, stricken, den Kriegsdienst verweigern, Kranke pflegen, Prügeleien fürchten, von Technik nichts verstehen und sich nichts aus schnellen Autos machen. Es hat sich herausgestellt, dass sie dazu ebenso geeignet sind wie Frauen.
Genützt hat es wenig: Leser beider Geschlechter verschlingen immer neue Bücher, in denen die naturgegebenen Geschlechterunterschiede teils humorig, teils mit wissenschaftlichem Anspruch propagiert und untermauert werden. Brauchen Männer und Frauen ein schlichtes Weltbild, um sich in einer komplizierten Welt sicher zu fühlen? Oder brauchen sie zusätzlich eingebaute Komplikationen, weil sie mit der Schlichtheit der Tatsachen nicht zurechtkommen?
Männerfeindlichkeit: Ein oft überlesenes Kapitel der Geschichte
Vor der Moderne, also etwa zu Beginn des 19. Jahrhunderts, galten weder Männer noch Frauen als sozial, moralisch oder sexuell schlechter. Beide Geschlechter waren nach dem Bild Gottes erschaffen und von der Erbsünde belastet, wobei der Mann zur Herrschaft berufen war und die Frau zur Mutterschaft.
Die Idee von der grausamen, zerstörerischen und unmoralischen Natur des Mannes stammt nicht, wie oft angenommen, von den kämpferischen Feministinnen des 20. Jahrhunderts, sondern geht auf Philosophen der Aufklärung zurück, darunter Immanuel Kant, Johann Gottlieb Fichte und Alexander Humboldt. Obwohl (oder weil) sie selbst Männer waren, warnten sie vor der Gleichgültigkeit und Gefühlskälte des Mannes, die ihrer Meinung nach Ursprung der meisten gesellschaftlichen Probleme war, und rieten den Männern, sich ihrer weiblichen Seite und allgemein der Weiblichkeit anzunähern, um bessere, „wahrere“ Menschen zu werden.
Absurderweise führte dieses neue, männerfeindliche Denkmodell nicht zu einer Neudefinition der vorherrschenden Geschlechterrollen, sondern festigte sie im Gegenteil sogar: Denn nur, indem die Frau weiterhin dem Wirtschaftsgeschehen, der Öffentlichkeit und politischen Ämtern fern blieb, konnte um sie herum ein menschlich wertvoller, von Männern und modernen Zeiten unverfälschter „Reinraum“ erhalten bleiben – eine Art Garten Eden, die häusliche Oase in der Wüste einer kalten Männerwelt.
Sind Männer schuld am Niedergang der Welt?
Automatisierte Kriege, immer schrecklichere Verbrechen, Fließbandarbeit, der Untergang der Traditionen, die neue Einsamkeit: Für viele der so genannten Krankheiten der modernen westlichen Gesellschaft werden die Männer zur Verantwortung gezogen. Männer verursachen Wirtschafts- und Bankenkrisen, Männer ruinieren das Klima und fischen die Weltmeere leer. Frauen sind traditionell dazu verdonnert, Warnungen abzusondern, die ebenso traditionell ungehört verhallen, die Folgen zu tragen und natürlich nachher die Trümmer wegzuräumen.
Solche Theorien halten allerdings einem genaueren Hinsehen nicht stand – und haben es nie getan. Was in populären Liedern oder Büchern noch statthaft ist und sogar lustig sein kann, ist irrig und auch gefährlich als allgemeine Denkgrundlage: Wo immer es aufs Handeln ankommt oder wirkliche Veränderungen angestrebt werden, sei es in Ehe und Partnerschaft oder in der Weltpolitik, darf nicht ein Feind anhand seines Geschlechts definiert werden. Schuldzuweisungen und Plattheiten führen zur Stagnation, und letztendlich darf nicht vergessen werden, dass Männer und Frauen die Welt gemeinsam beherrschen und gestalten – weil es anders ohnehin nie gehen wird.
Aber irgendwas muss doch dran sein an den Klischees!
Viele Männer und Frauen verhalten sich den Geschlechterklischees entsprechend und tun das sogar gern. Dies liegt allerdings weniger an der Natur als an Erziehung und Gewohnheit: Der Mensch geht gern den leichten Weg und nimmt gern die einfache Erklärung. Ein Verhalten als „typisch männlich“ oder „typisch weiblich“ zu bezeichnen und es damit auch gleich zu erklären ist natürlich einfacher, als den einzigartigen Charakter und die einmalige Geschichte einer Person zu betrachten und ihr Verhalten dementsprechend individuell und kontextsensitiv, wenn überhaupt, begründen zu können. Auch der kollektive Wiedererkennungswert, an dem Menschen viel Freude haben, darf nicht unterschätzt werden, ebenso wenig die Tatsache, dass die meisten heutigen Eltern vorwiegend von Frauen erzogen und in ihrem Denken geprägt worden sind.
Im Folgenden werden einige gängige Geschlechterklischees näher beleuchtet. Dabei wird sowohl ihr Sinn als auch ihr Unsinn deutlich – denn natürlich sind die Geschlechter nicht gleich, aber die meisten Unterschiede sind der Biologie geschuldet und wurden gesellschaftlich lediglich aufpoliert, weitergeführt und angepasst.
Männer wollen mehr Sex als Frauen
Klar ist, dass das biologische Programm der Frau Sex, Zeugung und Erziehung mehr Zeit zumisst als das des Mannes. Die fruchtbare Zeit der Frau ist von Natur aus terminiert, und die Befruchtung verändert langfristig ihren körperlichen und seelischen Zustand.
Es ist außerdem wissenschaftlich erwiesen, dass Männer umso zeugungsfähiger sind, je weniger Konkurrenz sie vermuten bzw. befürchten müssen. Männer, die sich der sexuellen Treue ihrer Partner nicht sicher sind, produzieren mehr Samenzellen, die darauf programmiert sind, Konkurrenten zu blockieren und abzutöten – folglich gehen weniger Spermien zielstrebig auf die Eizelle los und haben eine Chance, diese innerhalb der kurzen möglichen Zeitspanne nach dem Geschlechtsverkehr zu erreichen, bevor sie sterben.
Ebenfalls wissenschaftlich erwiesen ist übrigens, dass der weibliche Orgasmus die Zeugung begünstigt. Es kann also nicht in der männlichen Natur liegen, die Lust der Frau zu ignorieren und sich nur um die eigene Lust zu kümmern. Tatsächlich sind die meisten sexuellen Probleme in Partnerschaft und Ehe auf mangelndes Wissen und mangelnde Kommunikation zurückzuführen, und das trifft generell auf die meisten Probleme der Menschheit zu.
Dass viel mehr Frauen als Männer in der Ehe- und Paarberatung darüber klagen, sich von der Libido des Partners überfordert zu fühlen, liegt nachweislich nicht an einer generell schwächeren Libido oder längeren Erregungskurve der Frau. Diese angeblich vor allem weiblichen Probleme sind erziehungsbedingt, das wird schon an den Ausnahmen deutlich – von denen gibt es nämlich viel zu viele für ein Naturgesetz.
Frauen wissen jedoch, dass sie als langfristige Partnerin bessere Chancen haben, wenn sie nicht sexuell heißhungrig oder promisk wirken. Es ist also im Interesse jeder Frau, die eine dauerhafte Partnerschaft anstrebt, sich nicht zu sexorientiert anzubieten, weil das bei den in Frage kommenden Männern Konkurrenzängste weckt.
Gewohnheit und Erziehung haben bewirkt, dass daraus die bekannten Klischees geworden sind: das vom allzeit sexuell bereiten Mann und der sexuell überforderten Frau, aber auch die Mär vom Mann als Körper- und der Frau als Seelenwesen.
In einer Studie gaben 48 Prozent der Frauen an, die Worte „Ich liebe dich” schon gesagt, aber nicht ernst gemeint zu haben. Von den Männern gaben 38 Prozent zu, diese Worte schon ausgesprochen zu haben, um ihre Chancen auf Sex zu verbessern. Bemerkenswert sind hier weniger die Prozentzahlen als die Tatsache, dass die Frauen nicht nach ihren Beweggründen gefragt wurden, während der Beweggrund „Sex“ bereits in die Frage für Männer eingebaut war.
Männer können besser denken, Frauen besser kommunizieren
Nach dem heutigen Stand der Forschung sind die kognitiven und kommunikativen Fähigkeiten von Mann und Frau so ähnlich, dass auch statistisch relevante Unterschiede nicht als naturgegeben, sondern als erziehungsbedingt zu bewerten sind.
Bei Tests schneiden Männer und Frauen allerdings häufig so ab, wie es von ihnen erwartet wird. Erzählt der Testleiter den Männern vorher, der Test solle beweisen, dass sie ebenso empathisch seien wie Frauen, verhalten sie sich dementsprechend – und umgekehrt. Dasselbe gilt beim abstrakten Vorstellungsvermögen, bei der Kommunikationsbereitschaft, der Fähigkeit, mehrere Dinge auf einmal zu tun, der Anzahl gesprochener Wörter oder Blicke in den Spiegel pro Tag oder der Neigung, Verantwortung zu übernehmen. Es ist also ziemlich einfach, Geschlechterunterschiede auch situativ zw. kurzfristig herbeizureden, herbeizuführen oder schnell mal auszuschalten.
Die Prägung mit Rollen- oder Geschlechterklischees (und auch die Prägung dagegen) wird Priming genannt. Priming und das allen Menschen angeborene Rudelverhalten beeinflusst das Verhalten weit mehr als die natürlichen Unterschiede zwischen Mann und Frau, die sich durch bloßes Hinsehen bereits umfassend präsentieren.
Sherlock Holmes sagte: „Ausnahmen bestätigen nicht die Regel; sie widerlegen sie.“
Beim Versuch, alle ausnahmslosen Unterschiede zusammenzufassen, werden Soziologen und Wissenschaftler jedoch mit schöner Regelmäßigkeit auf die körperlichen Unterschiede, die primären und sekundären Geschlechtsmerkmale zurückgeworfen – und die scheinen der Menschheit, aus welchen Gründen auch immer, als Erkennungszeichen einfach nicht zu genügen.
Trotz allem: Frauen sind gut für Männer
Frauen leben im Durchschnitt länger als Männer, was zum Großteil von der Berufswahl und den Lebensgewohnheiten abhängt. Das Magazin „Demography“ veröffentlichte zudem eine Studie, nach der die Lebenserwartung der Männer auch von der Geschlechterverteilung beeinflusst wird: Je höher der Frauenanteil der jeweiligen Gesellschaft ist, umso länger leben die Männer. Vielleicht ermutigt sie das ja, trotz ihres unverdienten und eigentlich längst ausgedienten schlechten Rufs weiterhin die Nähe der Frauen zu suchen und ihnen – je nach aktuellem Trend – die Tür aufzuhalten, beim Windelwechsel zu assistieren, das Klavier in den dritten Stock zu tragen oder den Schraubenschlüssel zu reichen.