Hochsensibel - Hochsensibilität in Partnerschaft und Beziehung

Hochsensible Menschen nehmen sich und ihre Umwelt besonders intensiv wahr. Sie reagieren stärker auf innere und äußere Reize, und ihr feines Gespür für andere Lebewesen, Situationen, Entwicklungen und Zusammenhänge prägt auch ihr Verhalten in Partnerschaften.

Grundsätzlich kann Hochsensibilität als Bereicherung angesehen werden, hochsensibel zu sein kann aber auch zu Problemen führen. Die meisten Hochsensiblen empfinden bereits in jungen Jahren sehr deutlich, dass sie anders sind als der Durchschnitt, und vielen fällt es schwer, ihre überreiche und manchmal überfordernde Sinneswelt mit den Standardanforderungen der Leistungsgesellschaft oder den alltäglichen Routinen in Einklang zu bringen. In der Partnerschaft wird es vor allem dann kompliziert, wenn der Partner eher zu den nüchternen, pragmatischen Charakteren gehört, die sich ihrerseits durch die gesteigerte Empfindsamkeit des Partners überfordert fühlen und sie – je nach Situation – als unangebrachte Übertreibung, Traumtänzerei, Zickigkeit oder Mimosenhaftigkeit abtun.

Doch auch die Beziehung zweier hochsensibler Menschen birgt ein gewisses Konfliktpotenzial. So fällt es vielen Betroffenen schwer, bei Auseinandersetzungen die Sach- und Emotionsebene zu trennen oder klare Entscheidungen zu treffen. Zwar verfügen die meisten Hochsensiblen über ein starkes Gerechtigkeitsgefühl und eine hohe Bereitschaft, auf ihre innere Stimme bzw. Intuition zu hören, doch gerade diese Eigenschaften können es schwierig machen, sich zu positionieren und abzugrenzen, Prioritäten zu setzen oder klare Entscheidungen zu treffen.

Allerdings trifft das nicht auf jeden zu, der hochsensibel ist. Generell lässt sich hier wenig verallgemeinern, da Hochsensibilität immer etwas sehr Persönliches und Individuelles ist. In welchen Bereichen und in welchem Ausmaß die Sensibilität von der Norm abweicht und wie der- oder diejenige damit umgeht, ist von Mensch zu Mensch verschieden. In der Praxis der Eheberatung, Paarberatung oder Paartherapie geht es daher auch nicht um das Vermitteln klar umrissener Erfolgsrezepte, Handlungsanweisungen oder Vermeidungsstrategien. Ziel ist eher, mit der eigenen Hochsensibilität und/oder der des Partners besser zurechtzukommen, sie zu verstehen, zu akzeptieren und sich damit auszusöhnen. Denn nur auf dieser Basis kann sie dauerhaft als Bereicherung empfunden und in positivem Sinne ausgelebt werden.

Wie erkenne ich Hochsensibilität bei mir oder meinem Partner – wer ist hochsensibel?

Das Phänomen der Hochsensibilität (auch Hypersensibilität oder Hypersensitivität) ist schon sehr lange bekannt und wird seit einiger Zeit auch wissenschaftlich untersucht. Forscher verschiedener Disziplinen, darunter Psychologen und Neurowissenschaftler, versuchen, seinen Ursachen auf die Spur zu kommen. Mittlerweile existiert sogar ein eigener Forschungszweig, der sich mit diesem spannenden Thema beschäftigt – die High-Sensitivity-Forschung oder HS-Forschung.

Die Psychologin Elaine Aron hat einen Fragebogentest entwickelt, den mittlerweile auch andere Psychologen nutzen, um Hochsensibilität bzw. ihre Merkmale empirisch zu erfassen. Die Fragen umfassen drei Hauptkomponenten der Hochsensibilität, wie sie von Aron verstanden wird: die ästhetische Sensitivität, die Reizempfindlichkeit und die Überforderung durch Reize. Die erste Komponente deckt viele positive Aspekte der Hochsensibilität ab, da sie im weitesten Sinne für die Offenheit und Empfindsamkeit gegenüber (neuen) Reizen und Erfahrungen sowie die außergewöhnlichen Begabungen der Hochsensiblen steht. Die beiden anderen befassen sich mit eher nachteiligen bzw. riskanten Aspekten, die unter Umständen zu Unsicherheit, Ängsten, Wut, Frustration oder neurotischem Verhalten führen können.

Nach Elaine Aron werden angeborene Wesensmerkmale, etwa der Grad an Sensibilität, besonders häufig vernachlässigt, wenn es darum geht, den Erfolg oder das Scheitern einer Beziehung zu verstehen. Ihren Fragenkatalog durchzugehen und die Fragen für sich oder gemeinsam mit dem Partner oder dem Eheberater zu beantworten, kann durchaus zu einem Aha-Erlebnis werden. Doch wissenschaftlich ist dieser Test nicht, da er ausschließlich subjektive Eigenwahrnehmungen abfragt. Als hochsensibel gelten demnach Personen, deren gefühlte Belastungsgrenzen laut eigener Aussage in besonders vielen Situationen (des alltäglichen Lebens) überschritten werden. Ausgewertet wird nach einem sehr einfachen Prinzip: Wer rund die Hälfte der Fragen oder mehr mit „zutreffend“ beantwortet, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit eine HSP, also hochsensible Person.

Nach aktuellen Vermutungen handelt es sich bei Hochsensibilität um ein angeborenes Wesensmerkmal, dessen Sitz bzw. Ursprung jedoch bisher nicht bestimmt werden konnte. Vergleiche mit verwandten Phänomenen – etwa Synästhesie oder Hochbegabung – reichen nicht aus, um die offenen Fragen zu beantworten. Dafür gibt es mehrere Gründe, von denen hier nur einige aufgelistet sind:

  • Auch wenn sich Hochsensibilität meist schon im frühen Kindesalter zeigt, ist es zu diesem Zeitpunkt bereits kaum noch möglich, hier Angeborenes klar von Erworbenem bzw. Erlerntem zu trennen. Eindeutige oder allgemein verlässliche Hinweise auf die Vererbung von Hochsensibilität (bzw. eine genetische Prädisposition) gibt es nicht, obwohl die HS-Forschung heute zu dieser Annahme tendiert.
  • Inwieweit die Wahrnehmung, das Denken und Fühlen vom Durchschnitt abweichen, ist von außen praktisch nicht festzustellen. Deutlich erkennbar sind lediglich Teilaspekte, die auf eine allgemein erhöhte Sensibilität hinweisen können, aber nicht müssen – etwa ein besonderes Gespür für die Gefühle und Stimmungen anderer Menschen (oder auch Tiere) oder eine außergewöhnliche Begabung, die sich auch ohne spezielle Förderung äußert und „ans Licht drängt“ – beispielsweise ein musisches, künstlerisches oder analytisches Talent. 
  • Auch angeborene, stark ausgeprägte und deutlich erkennbare Begabungen brauchen Zeit, Platz und ein wohlwollendes Umfeld, um sich zu entwickeln, zu entfalten und zu voller Blüte zu gelangen. Werden sie nicht ausreichend anerkannt und unterstützt, können sie verdrängt werden oder regelrecht verkümmern – oft mit leidvollen Konsequenzen für die Betroffenen, die sich dann im schlimmsten Fall jahrelang unverstanden, unvollständig, über- oder unterfordert fühlen. Doch auch ein Zuviel an Aufmerksamkeit kann schädlich sein. Eltern, die ihr Kind als zart besaitetes „Sensibelchen“ in die sprichwörtliche Watte packen, fördern damit nicht dessen Begabungen. Im schlimmsten Fall wird das Kind daraus lediglich lernen, sich selbst stets als schwächer und verletzlicher als andere zu empfinden – ein zartes Pflänzchen von einem anderen Stern, ausgestattet mit einer filterlosen, schutzlosen Seele, die in der grausamen Welt leicht zerbrechen kann. 
  • Die Definitionen und Terminologien in diesem Bereich sind sehr uneinheitlich. Wie viel Sensibilität ist normal? Gibt es Unterschiede zwischen Hochsensibilität, Hypersensitivität und Überempfindlichkeit, oder sind das nur verschiedene Namen für ein vielseitiges und schwer einzugrenzendes Phänomen? Und – last but not least – welchen Nutzen haben diese Begrifflichkeiten? Letztlich wissen (oder fühlen) die Betroffenen selbst am deutlichsten, wie und wo genau sie anders ticken, anders funktionieren, anders auf Reize reagieren als andere. Das jedoch klar zu umreißen und nach außen zu kommunizieren, etwa dem Partner zu erklären, erfordert ein hohes Maß an sprachlicher Ausdrucksfähigkeit und setzt sowohl Vertrauen als auch die grundsätzliche Offenheit und das Verständnis des Partners voraus. Hier kann das Gespräch mit einem psychologisch geschulten Eheberater oder Paarberater äußerst hilfreich, erhellend und befreiend sein.

Hochsensibilität hat viele Gesichter

Messen und feststellen im medizinischen, klinischen oder naturwissenschaftlichen Sinne lässt sich Hochsensibilität nicht. Zwar gibt es viele Methoden, um das menschliche Sensorium auf seine Funktionen oder eventuelle Dysfunktion hin zu überprüfen, doch das Phänomen HS entzieht sich der entsprechenden Diagnostik, da es sich weder am Nervensystem noch an den Sinnesorganen festmachen lässt. Das Erkennen von Hochsensibilität fällt eher in den Bereich der Psychologie. Betrachtet werden dabei vor allem die folgenden Aspekte:

1. Wahrnehmung und Verarbeitung von Sinneseindrücken

Hochsensible Menschen nehmen die Welt meist sehr intensiv, facettenreich und ganzheitlich wahr. Oft haben sie deutliche Sinneseindrücke von Personen, bestimmten Umgebungen oder Dingen, die anderen (noch) gar nicht auffallen – und das, obwohl ihre Augen und Ohren, ihr Geruchs-, Geschmacks- oder Tastsinn bei Standardtestungen (etwa einem Seh- oder Hörtest) nicht als überdurchschnittlich gut oder deutlich anders bewertet werden als beim Durchschnitt. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass die niedrigere Wahrnehmungsschwelle bzw. höhere Empfänglichkeit für Sinnesreize mit deren innerer Auswertung und Verarbeitung zusammenhängt – also mit Faktoren, die in solchen Tests oft außen vor bleiben müssen.

Intensive Sinneswahrnehmungen befähigen in hohem Maß zum Erleben und Genießen. Viel zu fühlen, zu denken, mitzubekommen und mitzunehmen ist unzweifelhaft ein Quell der Freude und bereichert Leben wie Partnerschaft. Doch die Erweiterung betrifft nicht nur die Sonnenseiten des Gefühlsspektrums. Darum kann Hochsensibilität auch sehr anstrengend sein. Zu ihren möglichen Nachteilen gehören etwa gefühlte Reizüberflutung, Übererregbarkeit, äußere und innere Unruhe, Angespanntheit, Aggressivität oder Erschöpfung.

Ein weiteres Risiko ist die Selbstüberschätzung bzw. Überbewertung der eigenen Fähigkeiten. Sie kann zur vorschnellen (und darum unvollständigen oder falschen) Beurteilung von Menschen, Situationen oder Entwicklungen führen. Ein Beispiel aus der Praxis der Eheberatung: Wer glaubt, aufgrund seiner hohen Sensibilität die Handlungen, Äußerungen und Bedürfnisse seines Partners stets schon im Voraus zu kennen und bewerten zu können, wird dem Partner damit kaum gerecht. Das Bild ist einfach nicht komplett, wenn die Darstellung des anderen nicht mit einbezogen und ebenso ernst genommen wird. Außerdem resultieren Vorverurteilungen meist in destruktivem Kommunikationsverhalten, etwa dem Unterbrechen des Partners, Ungeduld beim Zuhören, abfälligen Äußerungen oder genereller Ablehnung.

Hochsensible Menschen müssen (und können) lernen, sich zu distanzieren und abzugrenzen. Sie brauchen innere und äußere Rückzugsorte, um zwischendurch immer wieder zur Ruhe zu kommen und all die Eindrücke zu verarbeiten, zu ordnen und zu relativieren. Das betrifft die Beziehung und das gesamte Lebensumfeld, also auch Wohnort, Beruf, Freizeit und Familienleben. Der Partner kann dabei ebenso helfen und unterstützen wie ein Eheberater oder Paartherapeut. Doch letztlich gehört das Schaffen und Nutzen von Rückzugsorten zur Eigenverantwortung der Hochsensiblen, ebenso die realistische Einschätzung der eigenen Kompetenzen und Schwierigkeiten. Man könnte diese Aufgaben als Teil der Verwaltungsarbeit bezeichnen, mit der das Leben in einer übervollen Welt verbunden ist.

2. Intuition

Intuition ist sehr schwer zu definieren, obwohl sich fast jeder etwas darunter vorstellen kann. Sie kann sich in besonderem Einfühlungsvermögen und intensivem Mitgefühl äußern oder im frühen bzw. sicheren Erkennen von Entwicklungen, Strukturen, Chancen und Gefahren. Je nach Charakter, persönlichen Erfahrungswerten und aktueller Situation kann sie ein Gefühl der Sicherheit oder der Unsicherheit vermitteln. Für manche ist sie ein Leitstern, auf den sie sich vor allem in schwierigen Lagen gern verlassen – wie eine innere Stimme, die Bescheid weiß und Rat gibt, wenn Schulwissen, Statistik oder reine Vernunft nicht weiterhelfen. Andere empfinden sie vor allem als Belastung, etwa in Form innerer Widersprüche oder Zweifel, die den Weg eher vernebeln und verstellen, als ihn zu klären und freizumachen. Bei mangelnder Zuversicht oder durch zu viele negative Erfahrungen kann sie bis zu innerer Isolation, Handlungsunfähigkeit und dem Gefühl der Verlorenheit führen.

Der richtige Umgang mit der eigenen Intuition und der des Partners lässt sich lernen, aber auch hierfür gibt es keine klaren Richtlinien. Denn Intuition ist äußerst vielschichtig und weder gut noch schlecht, sondern höchstens nach ihrem Erfolg zu bewerten. Sie hilft dem Jäger, seine Beute zu erwischen – oder dem Gejagten beim Entkommen. Sie kann den Erfolg eines Managers, Sportlers, Künstlers oder Feldherrn begründen. Eltern, Kinder und Liebespartner – wir alle entwickeln eine besondere Intuition für Menschen, die uns nahestehen. Ob Intuition als Gabe oder als Fluch empfunden wird, hängt – wie bei anderen außergewöhnlichen Begabungen auch – in hohem Maße davon ab, wie viel Vertrauen man ihr entgegenbringt, wie man sie anwendet und welche Konsequenzen sich daraus bisher ergeben haben.

3. Feingefühl

Hochsensible Personen zeichnen sich fast immer durch eine gute Beobachtungs- und Differenzierungsgabe, hohes Qualitätsbewusstsein und ein feines Gespür für Kleinigkeiten aus. Viele haben darum ein besonderes Talent für Aufgaben, bei denen es auf Präzision, Feinabstimmung, detaillierte Einschätzung, Menschenkenntnis oder geduldige, konsequente Umsetzung ankommt. Zur „dunklen Seite“ des Feingefühls gehören dagegen Perfektionismus, Pedanterie, Sturheit und zahlreiche weitere Eigenschaften und Verhaltensweisen, die die Liebe zur Vollkommenheit in einer unvollkommenen Welt eben so mit sich bringen kann.

In Beziehungen ist Feingefühl grundsätzlich immer begrüßenswert. So entschließen sich viele Paare zur Eheberatung oder Paartherapie, um einander künftig (wieder) mit mehr Aufmerksamkeit, Achtsamkeit, Verständnis oder ganzheitlichem Vertrauen begegnen zu können. Doch häufig werden beim Eheberater oder Paartherapeuten auch Probleme angesprochen, die aus einem „Umkippen“ des Feingefühls resultieren – etwa überzogene Ansprüche und Erwartungen an sich selbst und den Partner, einen Hang zum Nörgeln, zur Rechthaberei oder zum schnellen „Einschnappen“, Schmollen und Beleidigtsein.

Ebenfalls zu den Schattenseiten des Feingefühls gehört die Überforderung, die oft daraus entsteht, wenn ein hochsensibler Mensch alles zu nah an sich herankommen lassen. Manche fungieren in der Partnerschaft, im Freundes- und Familienkreis regelrecht als Anlaufstelle für alle Probleme, etwa weil sie so gut zuhören oder Rat geben können, weil sie besonders empathisch sind und besonders gut verstehen, was andere bewegt. Etliche Hochsensible, die das Zuhören, Mitfühlen und Beraten als Berufung empfinden, machen es zu ihrem Beruf und stellen ihr Talent so in den Dienst anderer Menschen, etwa als Psychologe, Trainer, Coach, Therapeut, Anwalt oder Seelsorger. Doch das Engagement und die Verantwortung können auch belastend sein oder zu viel werden, wenn die nötige Distanz bzw. Fähigkeit zur Abgrenzung nicht rechtzeitig erlernt wurde. Wer sich aufgrund seiner hohen Sensibilität die Sorgen, Probleme und Wünsche von anderen besonders intensiv zu Eigen macht, läuft Gefahr, sie irgendwann höher zu bewerten als die eigenen und so sich selbst zu vernachlässigen oder zu vergessen.

4. Vernetztes Denken

Ein weiteres Anzeichen für Hochsensibilität ist die Gabe des strukturierten (bzw. strukturierenden) Denkens. Hochsensible sind meist sehr kontextsensitiv und gut darin, Muster und Zusammenhänge, etwa den zwischen Ursache und Wirkung, zu erkennen. Das kann sich in Details äußern oder im Blick auf das Große und Ganze. Auch diese Gabe lässt sich sowohl im technischen und theoretischen als auch im künstlerischen, alltäglichen oder zwischenmenschlichen Bereich nutzen. Wie andere Aspekte einer ungewöhnlichen Sensibilität kann sie für spektakuläre Auftritte und Präsentationen sorgen, sich aber auch „im stillen Kämmerlein“ entfalten.

Schwierig wird es stets bei unangemessen komplexen Gedankengängen und Überlegungen, die sich zu weit vom Thema, vom Gesprächspartner, vom Hier und Jetzt entfernen. Auch beim Denken ist es wichtig, innehalten und loslassen zu können – etwa, um endlich vom Abstrakten zum Konkreten überzugehen, eine Entscheidung zu treffen oder eine klare Ansage zu machen. Den richtigen Moment dafür zu erkennen, gehört ebenfalls zur Kontextsensitivität, doch bei diesem Teil können Hochsensible oft noch einiges dazulernen. Denn die Fähigkeit, eine Unzahl von Faktoren in einen Denkprozess einzubinden, erhöht auch das Risiko, etwas Wesentliches darin zu verlieren – etwa sein ursprüngliches Motiv, den Bezug zum Partner oder die Aufmerksamkeit eines Zuhörers, der nicht mehr folgen will oder einfach nicht mehr mitkommt.

Menschen mit außergewöhnlicher Denkfähigkeit neigen häufig zum Grübeln, zum Abschweifen und zur Verzettelung. In guter Gesellschaft oder in magischen Momenten ist es reiner Genuss, auf kluge, feinsinnige Art vom Hölzchen aufs Stöckchen zu kommen, sich in die vielen Arme der Brillanz zu werfen und in Überraschung und Erkenntnis zu schwelgen. Doch nachts um halb fünf, allein mit Liebeskummer, Beziehungsstress, Ehekrise oder Trennungsschmerz, ist es weniger erfreulich, wenn der Kopf nicht zur Ruhe kommt. Mehr Vertrauen in den Lauf der Dinge kann hier ebenso helfen wie mehr Disziplin: Wer lernt, seine überbordenden Gedanken besser zu steuern, etwa zu fokussieren, umzuleiten oder zu unterbrechen, wenn es nötig ist, kann sich und seinem Partner in guten wie schlechten Zeiten viel Stress ersparen und sein Talent vom Guten zum Besseren entwickeln. Auch diese Fertigkeiten lassen sich im Rahmen einer Eheberatung oder Partnertherapie erlernen und trainieren.

5. Kreativität

Hochsensible bringen meist viel kreatives Potenzial mit. Das muss nicht notwendigerweise ein Ausnahmetalent, eine Insel- oder Hochbegabung sein. Doch jede schöpferische Begabung braucht immer mindestens ein Ventil. Sie muss ausgelebt werden und Früchte tragen dürfen. Allerdings können Hochsensible dabei keine Privilegien oder Freiräume einfordern, sondern müssen sie sich selbst schaffen – zum Glück kann die angeborene Kreativität auch hierbei helfen.

Kreativität kann sich auf viele Arten ausdrücken. Zu den Klassikern gehören die schönen Künste. Viele Menschen, die von Kunstwerken wie Musik, Bildern oder Literatur besonders tief berührt werden, können selbst Kunstwerke schaffen. Doch längst nicht jeder hochsensible Leser, Musik- oder Kunstliebhaber besitzt die Gabe, ebenfalls ein Musikstück zu komponieren, einen Roman zu schreiben, zu zeichnen oder ein Bild zu malen – oder die Geduld, sich die handwerklich-technische Seite der Kunst anzueignen.

Individuelle Kreativität kann auch die Fähigkeit sein, intelligente und außergewöhnliche Problemlösungen zu finden, bestehende Systeme zu verbessern oder – metaphorisch wie wörtlich zu verstehen – seine Stimme, sein Instrument und sein Können in einen Chor seiner Wahl, ins persönliches Wunschkonzert zu integrieren. Auch das Talent, über den Tellerrand hinauszublicken, den Alltag klug zu organisieren und dafür zu sorgen, dass es in Partnerschaft und Beruf nie langweilig wird, ist eine Form der Kreativität.

Zu den lebendigen Impulsen der Kreativen gehören Neugier, Spieltrieb, Leidenschaft und die grundsätzliche Freude an allem, das wächst, gedeiht und sich verändert. Um die Lust am Schönen oder die Freude am Schaffen und Gestalten auszuleben, bedarf es jedoch der Muße. Zwar gibt es Kreative, die erst unter Druck ihr volles Potenzial entfalten, doch die Mehrheit fühlt sich durch zu straffe Vorgaben, Termine etc. eher eingeengt. Zudem reagieren viele Hochsensible überdurchschnittlich stark auf Licht, Lärm, Hektik und andere stressige Außenreize. Sie brauchen also eine kreativitätsfördernde Arbeits- und Wohnumgebung sowie Orte, an denen sie sich zwischen den Schaffensphasen ausruhen, sammeln oder mit neuer Inspiration versorgen können.

Wie passen Partner mit unterschiedlichem Sensibilitätsgrad zusammen?

Die Antwort ist einfach: Unterschiede im Grad der Sensibilität können in einer Paarbeziehung zu Konflikten führen, müssen es jedoch nicht. Zwei Menschen, die sich lieben, können sich mit vielen Unterschieden arrangieren und sie sogar als Bereicherung und Ergänzung ihrer Partnerschaft pflegen. Wer selbst hochsensibel ist, einen hochsensiblen Partner hat oder beides, sollte sich zwischendurch immer wieder vor Augen führen, dass Hochsensibilität weder eine Krankheit oder Störung noch ein Privileg im Sinne eines Geburtsrechts ist. Sie erfordert keine Heil- oder Sonderbehandlung, lediglich ein Umfeld, in dem sie leben, wirken und Früchte tragen kann. Ihr dieses Umfeld zu schaffen, heißt, den damit verbundenen Stärken und Begabungen ausreichend Raum zu geben und sich auch mit ihren Schattenseiten bestmöglich einzurichten. So finden Hochsensible ihr Gleichgewicht zwischen Innen und Außen – und können das Glück, in einer Welt voller Wunder zu leben, voll auskosten und auch in besonderem Maß mit ihren Liebsten teilen.