Nach dem Seitensprung: Verzeihen oder Trennung?

Jeder Vertrauensbruch stellt eine Beziehung auf eine harte Probe. Der Seitensprung ist für den betrogenen Partner eine besonders umfassende Form des Vertrauensbruchs. Wer fremdgeht, gewährt ohne Zustimmung seines Partners einer anderen Person Zutritt zu einem Privatbereich, der ihm nicht allein gehört. Dort teilt er mit dem Eindringling, was er nur mit seinem Partner zu teilen versprochen hat. Wie auch immer der Seitensprung zustande gekommen ist und wie er gemeint war, ob einmaliger "Ausrutscher" oder längere Affäre: Von der anderen Seite aus betrachtet ist er vergleichbar mit Hochverrat, mit der Weitergabe von Staatsgeheimnissen oder dem Besudeln eines Tempels. Niemand, der seinen Partner liebt, kann ihm einfach das Fremdgehen verzeihen und weitermachen wie bisher. Andererseits gibt es kaum Alternativen nach dem Seitensprung: Verzeihen ist auf lange Sicht die einzige Alternative zur Trennung. Denn ohne Verzeihung und Versöhnung kann das erschütterte Vertrauen sich nicht erholen, und ohne Vertrauen ist eine respekt- und liebevolle Beziehung nicht möglich. Wenn nach dem Seitensprung Verzeihen unmöglich scheint und trotzdem beide Partner die Beziehung nicht aufgeben möchten, können Paarberatung oder Ehetherapie helfen, die verhärteten Fronten aufzulösen und Wege zur sinnvollen Auseinandersetzung mit der Krise zu finden.

Fremdgehen, Seitensprung: Vom schwierigen Umgang mit der Schuld

Kein Tier empfindet Schuld so, wie Menschen das tun. Auch die Geschwister der Schuld gehören zum archaischen Menschenerbe, sie sind sozusagen die dunklen Kirschen auf dem Sahnehäubchen der Moral. Reue, Sühne, Strafe und Vergebung: Das klingt selbst im Internetzeitalter noch verdächtig nach Verdammnis und Erlösung - und fühlt sich oft genug auch genauso an. Das Fremdgehen verzeihen sowohl Männer als auch Frauen dem Partner besonders schwer, da die Schwere der Schuld in ihren Augen eine harte Strafe erfordert. Viele empfinden während der ersten Zeit nach der Beichte des Partners oder dem Entdecken der Untreue vor allem Ohnmacht, Demütigung, Schmerz und Wut über den Seitensprung. Verzeihen ist das letzte, was sie in dieser Situation wollen: Das käme ja einer Zustimmung gleich oder einer Verharmlosung von Schuldschwere und Schadensumfang, vor allem jedoch einer Herabminderung der eigenen Gefühle. Das Zuweisen und Annehmen von Schuld kann wichtig sein, um seinen Standpunkt zu verdeutlichen, Gefühl und Mitgefühl Luft zu schaffen, gute Vorsätze zu untermauern und Lernbereitschaft zu zeigen. Die eindeutige Klärung der Schuldfrage nach einem Seitensprung ist jedoch ein höchst kompliziertes, wenig aussichtsreiches und vor allem nicht zukunftsweisendes Unterfangen, denn wie soll es danach weitergehen? Wem wäre damit geholfen, die Schuld irgendwo festzubetonieren? Wer will schon ein Mahnmal im Garten, das fortan selbst bei schönstem Wetter den Himmel verfinstert und jedem neuen Gestaltungsplan im Weg steht? Während einer Ehetherapie oder in der Paarberatung wird daher gar nicht erst versucht, Schuldfragen zu klären. Schuld hat kein Gegenteil, das sie ersetzen oder tilgen könnte, und muss daher als Prinzip überwunden werden.

Nur wo viel Wasser ist, gibt es auch hohe Wellen

Seitensprünge passieren nicht nur in unglücklichen Partnerschaften, leidenschaftslosen Ehen oder während langer Trennungszeiten. Oft spielen mehrere Zufallskomponenten zusammen und schaffen eine Situation, in der Regeln vergessen werden oder nicht mehr zu gelten scheinen. Nicht selten fällt es demjenigen, der fremdgegangen ist, nachher schwer, sein Handeln zu begreifen. Am besten wäre, es ließe sich ungeschehen machen, denn eigentlich ist gar nichts passiert: So oder ähnlich klingen viele Erklärungsversuche, sind tiefernst gemeint und vollkommen ehrlich und verfehlen trotzdem ihr Ziel. Denn niemand, der seinen Partner liebt, kann einen heimlichen Seitensprung einfach wegstecken oder "durchwinken". Das Hochkochen der Gefühle, das für alle Beteiligten eine emotionale Grenzerfahrung darstellen kann, ist grundsätzlich ein gutes Zeichen, denn Reibung erfordert Nähe. So lange auf beiden Seiten heiß gekämpft und gelitten wird, gibt es viel Hoffnung, dass die Liebe gewinnt. Kälte entsteht durch Verachtung und den oftmals zugrundeliegenden Wunsch, vom anderen befreit zu sein. Sie äußert sich gern in nachlässigem Spott, mangelndem Einfühlungsvermögen oder Gleichgültigkeit und zeigt oft an, dass eine Beziehung nicht mehr tragfähig ist.

Fremdgehen, Seitensprung: In der Ehetherapie ist Platz für die ganz große Oper

Wird in der Paarberatung über Fremdgehen, Verzeihen und die Rettungschancen für eine Liebesbeziehung gesprochen, geht es häufig um verletzten Stolz und das Gefühl der Ungerechtigkeit: Ist es etwa fair, dass der betrogene Partner den Seitensprung verzeihen soll, um die gemeinsame Zukunft zu ermöglichen, die der andere durch seine Untreue erst gefährdet hat? Auf der anderen Seite kann es sich ebenso ungerecht anfühlen, eine leichtfertig begangene Tat, die bereits tief bereut wird, den Rest des gemeinsamen Lebens lang büßen zu müssen. Viele sprechen im Rahmen der Ehetherapie oder Paarberatung auch zum ersten Mal offen über die extremen Gefühle und tiefen inneren Nöte, die der untreue Partner mit seinem Treubruch bei ihnen ausgelöst hat und mit denen sie sich in vielen einsamen Stunden herumgequält haben: Von Depressionen und Selbstzweifeln über Existenz- und Zukunftsängste bis hin zu brennenden Rachegelüsten, Mord- und Selbstmordphantasien reicht das Leidensspektrum, das sie sie zusammen mit dem Fremdgehen verzeihen und loslassen müssen, damit die Beziehung eine weitere Chance bekommt. Im Rahmen einer Ehetherapie sollen beide Partner die Möglichkeit haben, sich ohne Angst zu äußern, gemeinsam über Gesagtes nachzudenken und über Getanes zu sprechen. Einen Seitensprung verzeihen bedeutet, ihn dem Gesamtbild der Beziehung hinzuzufügen, ohne das Bild dabei nachhaltig zu beschädigen. Es muss auch nach dieser Krise noch möglich sein, den Partner rundum zu bejahen. Ihn nur "trotzdem" weiterzulieben ist ein fauler Kompromiss, der nachhaltig das Glück schmälert und beiden ungerecht wird.

Wünsche und Bedürfnisse neu sortieren

Um einen Seitensprung verzeihen zu können, hilft es, offen über mögliche Gründe zu sprechen und diese auch und gerade dann ernstzunehmen und zu überdenken, wenn sie dem eigenen Verständnis der Situation widersprechen. Seitensprünge entstehen oft aus dem Wunsch, aus einer Welt auszubrechen, die als überwiegend anstrengend, eintönig oder festgefahren erlebt wird. Das Fremdgehen spielt für den untreuen Partner oft viel mehr in der ersten Person, als die zweite und dritte sich vorstellen: Zumindest für kurze Zeit, hin und wieder, befreit es eingesperrte Abenteuerlust, lässt gedrosselte Leidenschaft in ursprünglicher Stärke erleben und ersetzt, was dringend gebraucht, aber vom Partner zu knapp bemessen wird. Das kann vieles sein: Anerkennung etwa und Bewunderung, Spontaneität und Ausgelassenheit, befriedigender Sex oder romantische Zärtlichkeiten. Oft lernen Paare sich durch eine Krise noch einmal ganz neu oder nachträglich noch weit intensiver kennen, denn um weitere Seitensprünge auszuschließen, ist es wichtig, dass jeder seine eigenen und die Bedürfnisse des Partners erkennt, akzeptiert und auch im Rahmen der Partnerschaft erfüllen kann. Wenn diese Basis vorhanden ist, bietet sich die überwundene Krise als Grundstein für einen verdienten Neuanfang dar.