Verheiratet mit Peter Pan – wenn Männer nicht erwachsen werden

Was Frauen wollen, wird seit hunderten von Jahren diskutiert. Einigkeit besteht vor allem darüber, dass sie keinen Mann wollen, der bei ihnen am liebsten ein Kind bleiben möchte. Frauen wollen erwachsene Männer. Das bedeutet jedoch nicht, dass der Mann seinen Spieltrieb, seinen Forscherdrang, seine Spontaneität und seine Freude an Überraschungen verlieren soll – im Gegenteil: Diese Eigenschaften sind bei der Partnerwahl nach wie vor attraktiv.

Erwachsen zu sein, so wie die meisten Frauen sich ihren Lebenspartner wünschen, hat also nichts mit Langeweile zu tun und ist auch nicht als das Gegenteil von Leidenschaft und Emotionalität zu verstehen. Erwachsen ist vielmehr ein Mann, der Verantwortung übernimmt, auf den Verlass ist und mit dem sich nicht nur Pferde stehlen und Nächte durchmachen, sondern auch weitreichende Pläne schmieden, Kinder großziehen und die alltäglichen Abläufe des gemeinsamen Lebens gut organisieren lassen.

Was für einen Partner bequem ist, kann für den anderen sehr anstrengend sein

In der Eheberatung oder Paarberatung erzählen Frauen häufig, ihr Partner bzw. Ehemann wolle nicht erwachsen werden. Diese Äußerung kann sich auf bestimmte Situationen beziehen, beispielsweise auf das aktuelle Konfliktverhalten, aber auch aus vielen kleinen, immer wiederkehrenden Verhaltensweisen des Beziehungsalltags resultieren. Dazu gehören etwa kindliche Trotzreaktionen (Schmollen, Beleidigtsein, Kommunikationsverweigerung durch Rückzug etc.), Nachlässigkeit (etwa bei der Hausarbeit oder der Finanzplanung) und Realitätsfluchten (z. B. übertriebene Hinwendung an ein Hobby, falsche Prioritätensetzung bei wichtigen Entscheidungen oder das Herunterspielen von Problemen).

Wenn ein Mann nicht erwachsen werden will, ist das nicht nur für seine Partnerin belastend, sondern schränkt auch die Entfaltungs- und Entwicklungsmöglichkeiten der Beziehung empfindlich ein. Nicht selten bemerkt der betreffende Mann davon am wenigsten oder erkennt die Tatsachen zu spät. Viele stellen sich den dadurch entstandenen Problemen und Handlungsbedarfen erst dann, wenn wirklich kein Weg mehr darum herumführt – und das ist oft nach bzw. während einer Eheberatung bzw. Paarberatung.

Ist ein Paar zu diesem Schritt entschlossen, haben meist beide erkannt, dass es in der Ehe bzw. Partnerschaft so wie bisher nicht weitergehen kann und ein Umdenken erforderlich ist. Wenn die alten Verdrängungsmechanismen und Kompromisse nicht mehr tragfähig sind, kann das offene Gespräch mit einem geschulten Psychologen bzw. Beziehungscoach helfen, starre Strukturen aufzubrechen und das Bewusstsein beider Partner füreinander und für die eigenen Bedürfnisse zu schärfen.

Exkurs: Peter Pan, das ewige Kind

Die Figur Peter Pan wurde im Jahr 1902 von dem schottischen Autoren James Matthew Barrie erfunden und ist der Held mehrerer nicht nur für Kinder geschriebener Geschichten. Durch zahlreiche Verfilmungen, vor allem die von Walt Disney aus dem Jahr 1953, wurde Peter Pan weltweit einem Millionenpublikum bekannt. Mit seiner Bande, den Lost Boys (= verlorenen Jungs), lebt Peter Pan auf der Insel Neverland (= Nimmerland), die das Reich der Kindheit bzw. die Kinderzeit verkörpert. Als einziges Kind der Welt muss Peter Pan dieses Land niemals verlassen, um erwachsen zu werden. Was auf den ersten Blick als Privileg erscheint, hat jedoch auch Schattenseiten: Peter Pan wird sich niemals verändern, weshalb er alles Erlebte, das zu Veränderung führen müsste, bald wieder vergisst – auch Personen, die zu kennen bei ihm zu einer Charakterentwicklung führen müsste. So bleiben ihm die Reifeprozesse anderer und damit viele wichtige Facetten der menschlichen Persönlichkeit für immer verschlossen.

Hinter den Abenteuern, Kämpfen und Spielen von Peter Pan und seinen Freunden und Verbündeten ist also stets ein Konflikt fühlbar, der sich vor allem gegen Ende der Geschichte zeigt. Die Sorglosigkeit und Unschuld der Kindheit können nicht einfach ins Erwachsenenalter mitgenommen werden. Sie müssen Veränderungen durchlaufen, die manchmal auch unbequem und schmerzhaft sind, um zu den äquivalenten Charaktermerkmalen eines Erwachsenen zu werden, etwa Offenheit, Gelassenheit oder Optimismus. Ein Mensch, der das symbolische Nimmerland nicht verlassen will, grenzt sich von anderen ab, beschränkt seine Entwicklung und behindert damit sich selbst – und oft auch die Menschen, die ihm besonders nahe stehen.

Das Peter-Pan-Syndrom in Psychologie und Paarberatung

In den frühen 1980er-Jahren erschien das Buch „Das Peter-Pan-Syndrom“, geschrieben von Dan Kiley, einem US-amerikanischen Familien- und Paartherapeuten. Dieses nicht streng wissenschaftlich aufgebaute, sondern eher populärwissenschaftlich zu nennende Werk befasst sich mit Männern, die nicht erwachsen werden (möchten). Es wurde vor allem als Ratgeberlektüre für Paare auch hierzulande recht bekannt.

In seinem Buch beschreibt Dan Kiley sechs Symptome bzw. Verhaltensweisen, die für das Peter-Pan-Syndrom sprechen.

  • Angst: Die Betroffenen handeln selten nur aus Bequemlichkeit oder gar böswilligem Kalkül. Meist haben sie Angst vor tiefen Gefühlen und festen Bindungen. Laut Kiley fühlen viele sich schuldig gegenüber ihren Eltern und fürchten, diesen nie gerecht zu werden. Daraus resultieren häufig Einsamkeit, innere Heimatlosigkeit und emotionale Verarmung.
  • Verantwortungslosigkeit: Männer mit dem Peter-Pan-Syndrom haben verstärkt Schwierigkeiten mit Hierarchien, Pflichten und Regeln – sowohl im Alltag als auch in Berufsleben und Partnerschaft. Es fällt ihnen schwer, sich einzuordnen und tägliche, notwendige Routinearbeiten gewissenhaft und regelmäßig auszuführen. In der Partnerschaft drücken sie sich beispielsweise gern vor ungeliebten Pflichten, schieben fällige Arbeiten vor sich her oder versuchen, sie wegzudiskutieren, lächerlich zu machen oder anderen unterzuschieben. Wird es ernst, neigen sie zum Ablenken, Ausweichen oder Flüchten.
  • Einsamkeit: Betroffene Männer haben Angst vor tiefen Freundschaften mit erwachsenen Männern und Frauen. Das wird häufig kompensiert, indem sie sich stattdessen vermehrt in Gruppen einbringen, die eher an die Jungenbanden und Kumpelfreundschaften der Kindheit erinnern. Das können Stammtischrunden sein oder Pfadfinder, Rollenspieler, Internetgemeinschaften, Sportvereine oder Partycliquen.
  • Chauvinismus: Oft äußert sich das Peter-Pan-Syndrom in einer sexistischen oder anderen negativen Einstellung gegenüber Frauen. Das kann sich in Machoverhalten, Prahlerei, veralteten Einstellungen zur Lebensgemeinschaft bzw. Ehe, Kritikunfähigkeit, Spott oder auch Untreue äußern. Allerdings sind viele Betroffene stark auf ihre Mutter fixiert – ein Problem, von dem Frauen in der Eheberatung oder Paartherapie häufig erzählen.
  • Rollenkonflikte in der Sexualität: Weigert sich die Partnerin, die Mutterrolle zu übernehmen und dem Mann die Verantwortung für Harmonie in der Beziehung abzunehmen, führt das bei Männern, die nicht erwachsen werden wollen, zu tiefer Unsicherheit. Die zeigt sich dann auch beim Sex: Die Betroffenen sind unsicher und trauen sich nicht, ihre Bedürfnisse zu artikulieren oder sich auf die Bedürfnisse der Partnerin einzulassen. Schon vorsichtige Kritik verletzt ihr ohnehin schwaches Selbstwertgefühl. Manche reagieren darauf mit Aggressivität, demonstrativem Leid oder Verweigerung. Andere suchen Bestätigung in schnellen Eroberungen oder Seitensprüngen.
  • Selbstverliebtheit (Narzissmus): Da es für Peter Pan gewissermaßen kein Gestern und kein Morgen gibt, fällt es ihm leicht, sich die Gegenwart so „zurechtzumachen“, dass er in ihr der größte Held ist. Lästige Realitäten werden vielfach einfach abgelehnt oder schöngeredet. Bei Konflikten drehen sich die Gedanken der betroffenen daher auch häufig mehr um sich selbst als um die Partnerin; oft fehlt die Fähigkeit zur Selbstreflexion und Selbstkritik. 

Die schrittweise und dauerhafte Überwindung dieser Verhaltensweisen ist in vielen Fällen der einzige Weg, die Ehe zu retten bzw. die Partnerschaft zu stabilisieren. Dabei kann das Gespräch mit dem Eheberater oder eine gemeinsame Therapie sehr hilfreich sein. Ideal ist natürlich, wenn beide Partner schon vorher zu Veränderungen bereit sind. Frauen, die ihre Lebensgemeinschaft durch altersunangemessenes Verhalten ihres Partners bedroht sehen, können sich jedoch auch schon im Vorfeld über die Möglichkeiten einer Paartherapie oder einzelner Gespräche beraten lassen.