Wenn Glaube und Religion die Beziehung belasten
Die Gretchenfrage in der Partnerschaft
Der Glaube eines Menschen ist seine spirituelle Heimat. Dabei ist es zuerst einmal gar nicht so wichtig, ob dieser Glaube religiös oder organisiert ist bzw. aktiv praktiziert wird. Jeder tief empfundene Glaube verdient Respekt – schon allein deswegen, weil er eine Art Geheimwissen darstellt, also ein Wissen, das ohne Beweise auskommt.
In einer Liebesbeziehung oder Ehe müssen die Partner einander akzeptieren und zueinander stehen. Anders ist weder eine Partnerschaft auf Augenhöhe noch eine gemeinsame Entwicklung möglich. Das umfasst natürlich auch den Glauben, die Religion und die kulturellen Hintergründe, die den Charakter eines Menschen tief prägen. Sie sind derart mit seiner Persönlichkeit verbunden, dass sie sich auf alle Bereiche des Lebens erstrecken und sich weder aus dem Alltags- noch aus dem Konfliktverhalten dauerhaft heraushalten lassen.
Weichen die Ansichten und Überzeugungen hier grundlegend voneinander ab, sind Beziehungsprobleme vorprogrammiert. Denn wenn es um religiöse und kulturelle Konflikte geht, sitzen die Überzeugungen oft tief, und dementsprechend gering ist die Kompromissbereitschaft. Das macht es schwer, einen für beide befriedigenden Lösungsansatz zu erarbeiten. Da die Tragweite von Religions- und Glaubensunterschieden in der Anfangszeit der Beziehung häufig nicht erkannt oder leichtfertig abgetan wird, merken viele Partner zudem vergleichsweise spät, dass sie damit ein ernstes Problem haben.
Wie kann eine Eheberatung oder Partnertherapie bei Religionskonflikten helfen?
In meiner Praxis für Eheberatung und Paartherapie stehen die Menschen und ihre Liebe im Vordergrund. Fast immer ist das wichtigste Ziel einer Eheberatung oder Paartherapie, sich in einer schwierigen Zeit oder kritischen Situation wieder zusammenzufinden. Dabei sind richtiges Zuhören und Fragen, Verständnis und Mitgefühl gefragt, ebenso die grundsätzliche Bereitschaft zur Selbstbetrachtung, Selbstkritik und Veränderung. Einfach nur Recht haben, Recht behalten und sich durchsetzen zu wollen, ist Gift für eine offene und konstruktive Kommunikation.
Darum soll und wird es im Beratungsgespräch niemals darum gehen, zu entscheiden oder auch nur zu erörtern, welche Religion richtig oder welcher Glaube falsch ist. Vielmehr muss bei Glaubenskonflikten zwischen Eheleuten oder Lebenspartnern ein Weg gefunden werden, den beide gemeinsam gehen können, ohne ihre spirituelle Heimat aufzugeben oder zu vernachlässigen.
Voraussetzung für den Erfolg der Beratung oder Therapie ist, dass beide Partner sich trotz der Glaubensunterschiede weiterhin eine glückliche und harmonische gemeinsame Zukunft wünschen und vorstellen können. Wenn das so ist, bestehen gute Chancen, die Kluft zu überbrücken – denn zwei Menschen, die fest aneinander glauben, haben durchaus auch das Potenzial, religiöse oder kulturelle Glaubenskrisen gemeinsam zu meistern.
Gehören beide derselben Religions- oder Glaubensgemeinschaft an und suchen gemeinsam nach Wegen, ihre Ehe oder Partnerschaft im Sinne dieser Gemeinschaft richtig zu leben, kommen als Alternativen auch eine katholische, evangelische oder islamische Ehe- und Partnerberatung in Frage. Hier können sich die Ratsuchenden an Ansprechpartner ihrer Konfession bzw. Religionsgemeinschaft wenden, die in allen entsprechenden Fragen geschult sind und Antworten gemäß dem Glaubensbekenntnis geben und herleiten.
Exkurs: Was genau ist eigentlich die Gretchenfrage?
Der Begriff „Gretchenfrage“ wird nicht nur in den Medien sehr vielseitig und auch themenübergreifend verwendet. Zu allem Möglichen wird „die Gretchenfrage gestellt“ – meistens soll damit ausgedrückt werden, dass man sich um den grundsätzlichen Sinn oder Unsinn eines Themas bzw. um dessen Ursprung Gedanken machen sollte. Tatsächlich bezieht sich die Original-Gretchenfrage aber eindeutig auf das Thema Religion.
In Goethes Drama „Faust 1“ fragt die 14-jährige Margarete (genannt Gretchen) den 30-jährigen Dr. Heinrich Faust: „Wie hast du‘s mit der Religion?“ Sie vermutet nämlich, ihr Heinrich habe „kein Christentum“ – und damit liegt sie richtig, denn Dr. Faust hat einen Pakt mit Mephistopheles, also dem Teufel, geschlossen.
Von der Gretchenfrage wird in Smalltalk-Ratgebern grundsätzlich abgeraten: Religion und Politik gelten als besonders heikle Themen zwischen Menschen, die sich noch nicht gut kennen. Vielfach wird auch davon abgeraten, mit einem Menschen, der hierzu ganz andere Ansichten hat, eine feste Beziehung einzugehen. Nicht wenige tun das aber trotzdem: weil die Liebe sich durch vernünftige Ratschläge weder steuern noch aufhalten lässt – oder weil sie vergessen haben, die Gretchenfrage rechtzeitig zu stellen.
Die zwei grundlegenden Glaubenskonflikte in der Partnerschaft
Beziehungsprobleme wegen der Religion oder des Glaubens treten vor allem in zwei Konstellationen auf: Entweder ist einer der Partner gläubig und der andere nicht, oder beide sind gläubig, gehören aber nicht derselben Glaubensgemeinschaft an. Ein selteneres, aber dennoch ernst zu nehmendes Problem ist, wenn die Familie oder der Freundeskreis den Partner wegen seines Glaubens (oder Nichtglaubens) nicht akzeptiert – auch das kann die Beziehung stark belasten.
Glaubt ein Partner an Gott, der andere aber nicht, ist das erst einmal überhaupt kein Konflikt. Es kann aber einer daraus werden – etwa, wenn der gläubige Partner versucht, den anderen zu bekehren, und beide darunter leiden. Dieser sogenannte Missionsanspruch lässt sich aber nicht einfach abstellen, denn er ist fester Bestandteil der großen Weltreligionen. Wer es also damit ernst meint, der kann und wird mit den Bekehrungsversuchen nicht aufhören, nur weil der Partner ihn darum bittet. Schließlich geht es dabei nicht nur darum, Gottes Auftrag zu erfüllen, sondern auch um die Rettung der Seele eines Menschen, den man liebt. Das Thema zu vermeiden würde also bedeuten, den Partner in einem sehr wichtigen Bereich aufzugeben – ein schlechter Liebesdienst.
Das zu erkennen und zu verstehen hilft dem anderen Partner jedoch wenig. Für überzeugte Atheisten oder liberale Agnostiker kommen Bekehrungsversuche einer Bevormundung gleich. Sie fühlen sich dadurch eher geschulmeistert, nicht ernst genommen oder einfach nur genervt. Vielen „Heiden“ fällt es auch schwer, ihrerseits tief gläubige Menschen ernst zu nehmen und dauerhaft zu respektieren. In deren religiös geprägten Denkstrukturen und Argumenten vermissen sie vielfach die Offenheit, Freiheit und Selbstständigkeit, die sie für sich selbst in Anspruch nehmen und gefunden zu haben glauben.
Glauben beide an Gott, nur nicht an denselben, haben beide eine Religionsgemeinschaft mit Missionsanspruch hinter sich stehen und können auf deren Argumente zurückgreifen. Dabei besteht natürlich die Gefahr, dass die Menschen zwischen den Göttern, Propheten, Predigten, Büchern und Auslegungen in den Hintergrund geraten oder ganz unsichtbar werden. Denn welcher Sterbliche könnte es schon mit Allwissendem, Übermächtigem, Uraltem und Unvorstellbarem aufnehmen, bewaffnet mit nichts als seinem sterblichen, liebenden und reichlich verwirrten Herz?
Zum Glück sind alle gottesgläubigen Menschen einander prinzipiell nahe. Ist auch der Gott nicht derselbe, so wird es in aller Regel bei beiden ein Gott sein, nicht viele Götter oder gar der Teufel wie bei Dr. Faust. Und da die Gebote der Weltreligionen bei näherem Hinsehen ebenfalls gar nicht so weit voneinander abweichen, ist hier vergleichsweise viel Raum für Kompromisse und Einigungen. Tatsächlich lösen viele Paare diesen Konflikt, indem sich schließlich einer zur Konversion entscheidet, also dazu, der Religion des anderen beizutreten.
Ein Mensch, der vorher schon an Gott geglaubt und ihm gedient hat, kann vielfach leichter die Religion wechseln, als völlig von ihr abzulassen. Er kann Gott dann unter einem anderen Namen ebenso gut dienen und tauscht eine Sicherheit gegen eine andere ein. Viel schwerer ist es, einen Freidenker, Atheisten oder Agnostiker vom Monotheismus mit all seinen Ge- und Verboten zu überzeugen. Dazu wäre vielfach eine echte Grenzerfahrung nötig, etwa Isolationshaft, Folter oder ein traumatisches Unfall- oder Nahtoderlebnis. Und das möchte man dem Partner ja nicht wünschen, nur damit er in Zukunft den eigenen Glauben teilt.
Wie lassen sich zwei unterschiedliche Glaubensrichtungen unter einen Hut bringen?
Es ist wenig sinnvoll, sich einen Religionskrieg oder Glaubenskonflikt an den Tisch oder ins Bett zu holen. Bei entsprechenden Meinungsverschiedenheiten geht es nicht um zwei Götter, sondern um zwei Menschen, von denen jeder ein Recht darauf hat, als eigenständige Persönlichkeit gesehen und akzeptiert zu werden. Im Vordergrund sollten die Gefühle, Wünsche und Bedürfnisse der Partner stehen – denn während Gottes Wege und Worte bekanntermaßen oft unbegreiflich sind, haben zwei Menschen, die einander lieben und offen kommunizieren, immer die Möglichkeit, einander zu begreifen und auch von ihrer Verschiedenheit und ihren Gegensätzen zu profitieren.
Hier sind ein paar praktische Tipps, mit denen sich manche Glaubenskonflikte in Ehe, Beziehung und Alltag vermeiden oder zumindest vernünftig regeln lassen:
- Messen Sie dem Glauben Ihres Partners stets dieselbe Bedeutung zu wie Ihrem eigenen. Vergessen Sie dabei niemals, dass sich Glaube durch Vernunftargumente weder beweisen noch wiederlegen lässt – ebenso wenig wie seine Brüder, die Hoffnung und die Liebe.
- Üben Sie praktische Toleranz: Kritisieren Sie nicht den generellen Glauben oder Unglauben Ihres Partners, sondern setzen Sie an konkreten Verhaltensweisen an, die Sie selbst erleben und die Sie selbst betreffen. Argumentieren Sie nicht mit Gottes Worten, sondern mit ihren eigenen.
- Wenn eine Trauung, Taufe oder Ähnliches bevorsteht, sprechen Sie rechtzeitig ab, wie Sie feiern wollen. Versuchen Sie gar nicht erst zu klären, wessen Überzeugungen bzw. Vorstellungen hier wichtiger oder richtiger sind, sondern wählen Sie den Kompromiss, der am wenigsten weh tut. Beispiel: Wenn ihr Partner vor den Augen Gottes die Ehe schließen will, Sie aber Agnostiker sind, können Sie trotzdem die feierliche oder pompöse kirchliche Zeremonie genießen und den Segen schmerzfrei mitnehmen.
- Setzen Sie auf regen Austausch statt auf Bekehrungsversuche, Predigten oder gar Drohungen mit dem Höllenfeuer. Fragen Sie nach, anstatt zu spotten oder Argumente einfach abzutun. Bleiben Sie auch dann persönlich, wenn Ihr Partner mit Gott argumentiert – immerhin möchten Sie jetzt erst einmal das Leben vor dem Tod gemeinsam gestalten und genießen.
- Achten Sie darauf, was der andere aufgrund seines Glaubens oder Nichtglaubens besser kann als Sie, und nehmen Sie davon mit, was Sie kriegen können. Beispiel: Viele gläubige Menschen verfügen über ein beneidenswertes Urvertrauen, strahlen Sicherheit aus und vermitteln festen Halt, wo sich Atheisten mit Zweifeln und Ängsten plagen.
- Definieren Sie Ihre Grenzen und achten Sie die Ihres Partners. Hüten Sie sich vor Machtspielchen, Dogmatismus und Prinzipienreiterei, um Ihre Kommunikationskanäle nicht zu verstopfen – das gilt übrigens für alle Bereiche der Beziehung.
Kein Mensch hat bisher den Stein der Weisen gefunden, die Weltformel entdeckt oder eine metaphysische Frage allgemeingültig beantwortet. Alles Lebende ist gekennzeichnet durch Verletzlichkeit, Bewegung und Veränderung – auch ein lebendiger Glaube. Bleiben Sie also stets neugierig, beweglich, verspielt und Ihrem Partner gegenüber aufgeschlossen, dann können Sie trotz gegensätzlicher Überzeugungen gemeinsam leben und wachsen.