Zehn klassische Liebesprobleme
Die Liebe ist mindestens so alt wie die Menschheit. In Liebesgeschichten kommt der Mensch an seine Grenzen: Durch Liebe wird er erhoben und erniedrigt, erfüllt und enttäuscht. Aus Liebe wird er zum Helden und macht sich zum Affen – oft viele Male in seinem Leben.
Liebesprobleme, mit denen sich schon die Ritter der Tafelrunde herumschlagen mussten
In den Erzählungen um den legendären König Artus und seine Tafelrunde treten die Ritter auch als Liebende auf und bei den meisten läuft es in diesem Bereich nicht gerade reibungslos. Die sagenumwobenen Helden haben Schwierigkeiten bei der Partnersuche, Beziehungs- und Liebeskrisen und Ehekonflikte – klassische Probleme in der Beziehung, die auch heutige Singles und Paare beschäftigen. Beziehungsprobleme lösen sich nicht immer von alleine.
Bindungsangst und Beziehungsunfähigkeit
Gamuret, ein junger Ritter, ist seit seiner Geburt impulsiv und von unstetem Sinn. Als Sohn des Königs und Erbe eines halben Königreichs könnte er eine solide Ehe eingehen und ein geruhsames Leben führen. Doch er schlägt das Erbe aus und verlässt das Land, um die Welt zu erkunden und Abenteuer zu erleben.
Weil er freundlich, gutaussehend und ein mutiger Kämpfer ist, fliegen ihm die Frauenherzen nur so zu. Er ist leicht zu begeistern und genießt bedenkenlos die Freuden der Liebe. Durch seine Beziehungsangst hält er es in festeren Verbindungen jedoch nicht lange aus – zu groß ist seine Sorge, als Ehemann oder Familienvater auf die Vorteile des Single-Lebens verzichten zu müssen.
Im Lande Zazamank begegnet Gamuret der schönen Königin Belakane, in die er sich so sehr verliebt, dass er sie heiratet. Als sie jedoch schwanger wird, kommt seine verloren geglaubte Bindungsangst wieder zum Vorschein. Anstatt seine Ehe zu retten, entzieht er sich der Verantwortung und ersinnt faule Ausreden: So fällt ihm plötzlich ein, die Eheschließung sei überhaupt nicht rechtskräftig gewesen, da Belakane nicht getauft sei. Er verlässt seine Frau und das Land, bevor das Kind geboren ist – und ohne etwas aus seiner Erfahrung gelernt zu haben, wie der weitere Verlauf der Geschichte zeigt.
Nach seiner Flucht aus Belakanes Armen und dem Königreich Zazamank bereist Gamuret Spanien und stolpert dort ein zweites Mal in die Ehefalle. Diesmal gewinnt er aus Versehen die Hand der Prinzessin Herzeloyde bei einem Turnier. Sein grundsätzlich berechtigter Einwand, der gewonnene Schaukampf sei doch nur die Generalprobe gewesen und das eigentliche Turnier fände erst am folgenden Tag statt, nützt ihm nichts: Da keiner der Kontrahenten mehr über eine intakte Waffe verfügt, kann kein weiterer Kampf stattfinden und zudem wäre es eine Beleidigung, die Prinzessin zurückzuweisen.
Gamuret fügt sich und versucht, in seiner zweiten Ehe sein Bestes zu geben. Doch auch dieses Mal versagt der junge Held angesichts der schwierigen Herausforderung, sich in einer dauerhaften Partnerschaft zu engagieren und Verantwortung für die Folgen seiner Impulsivität zu übernehmen. Diese Probleme führen dazu, dass die Ehe nicht mehr gerettet werden kann und er nach nur 18 Monaten die schwangere Herzeloyde verlässt, obwohl er sie liebt.
Beziehungsflucht als einziger Ausweg
Leider fand dieser legendäre Beziehungsmuffel weder Zeit noch Gelegenheit, aus seinen Fehlern zu lernen: Nachdem er seine zweite Ehefrau verlassen hatte, begab er sich Hals über Kopf in neue Abenteuer und verlor als Söldner in einem unbedeutenden Scharmützel sein Leben. Seine beiden Söhne begegneten sich viele Jahre später, erkannten einander und wurden sogar Freunde.
Nachlassende Leidenschaft und unausgesprochene Konflikte in der Liebe
Ritter Erec gewinnt Herz und Hand seiner Frau Enid durch tapfere Taten und einen guten, beständigen Charakter. Nach der Heirat zeigt sich, dass Erec nur aus der Notwendigkeit heraus ein Kämpfer und Eroberer war. Eigentlich ist er ein Genussmensch, der entspannte Sinnlichkeit, friedlichen Gleichklang und häusliches Glück weit mehr schätzt als Heldenruhm und Waffenlärm.
Zuerst ist Enid begeistert: Ihr Mann ist immer daheim und liest ihr jeden Wunsch von den Augen ab. Er lässt sich gehen, verbringt ganze Tage mit ihr im Bett, lernt das Lautenspiel, träumt viel und interessiert sich für Küche und Garten. Doch mit der Zeit vermisst sie den ritterlichen Draufgänger, als den sie Erec kennengelernt hat, mehr und mehr. Als schließlich der Turnierplatz zur Blumenwiese geworden ist und sogar das Personal über die Nachlässigkeit des Hausherrn zu tuscheln beginnt, kann sie ihre Unzufriedenheit nicht länger für sich behalten.
Enid ist verzweifelt und möchte ihre Ehe retten. Doch weil sie Erec nicht verletzen möchte und Angst vor einem offenen Gespräch hat, beklagt sie sich nachts bei ihrem vermeintlich schlafenden Mann über ihre Liebesprobleme. Erec wacht dabei auf, stellt sich jedoch weiterhin schlafend. So muss er sich jede Menge bitterer Vorwürfe anhören, von denen er vorher nicht die leiseste Ahnung hatte. Seine heile Welt bricht mit einem Schlag zusammen.
Kompromisse als Lösung für Liebesprobleme
Aus Schreck, Enttäuschung und zutiefst verletztem Stolz reagierte Erec mit einer riskanten und wenig empfehlenswerten Kopf-durch-die-Wand-Taktik: Er verließ noch in derselben Nacht in voller Kriegsmontur seine Burg. Enid, von der er sich verraten fühlte, musste vor ihm herreiten, aber sie durfte nicht mit ihm sprechen. So wollte er sich selbst und seine Frau bestrafen und außerdem den Beweis antreten, dass er nach wie vor ein Mann war.
Dass diese unreflektierte Panikreaktion nicht beide schon am ersten Tag das Leben kostete, war Enid zu verdanken: Mehrmals missachtete sie das Redeverbot, um ihren Mann vor Räubern zu warnen, die Erec in seinem Grimm gar nicht bemerkt hatte. Trotzdem wurde das Paar Opfer eines Überfalls, bei dem Erec so schwer verletzt wurde, dass alle ihn für tot hielten. Als sein mutmaßlicher Mörder daraufhin Enid für sich beanspruchte, erwachte Erec aus seiner Ohnmacht und schaffte es, sich und seine Frau mit Waffengewalt zu retten. Beide waren nach ihrer glücklichen Rückkehr bereit, ihre Vorstellungen von Leidenschaft noch einmal zu überdenken und durch kluge Kompromisse ihre Eheprobleme zu lösen.
Keine Zeit für die Beziehung
Iwein, der Löwenritter, kommt eher unverhofft zu seiner Ehefrau, indem er den Hüter eines verzauberten Brunnens im Zweikampf besiegt und nach verschiedenen Verwicklungen dessen Witwe Laudine heiratet. Die beiden haben sich trotz der tragischen Vorgeschichte ineinander verliebt, und nun ist Iwein der Hüter des verzauberten Brunnens und verpflichtet, diesen gegen Fremde zu verteidigen.
Um als Ehemann nicht den gleichen Fehler zu machen wie sein Gefährte Erec, verlässt Iwein seine Frau schon bald nach der Hochzeit. Er will weiterhin Ruhm anhäufen, Heldentaten vollbringen und vor allem mit seinen Freunden am Königshof feiern und in Turnieren vor erlesenem Publikum als siegreicher Ritter glänzen. Laudine, noch traumatisiert vom Verlust ihres letzten Ehemanns, lässt ihn sehr ungern gehen. Doch Iwein schwört hoch und heilig, ihr weiterhin die Treue zu halten und spätestens nach einem Jahr und einem Tag zu ihr zurückzukehren.
Leider vergisst Iwein über den höfischen Zerstreuungen seine Frau und sein Versprechen. Daraufhin schickt Laudine ihre beste Freundin Lunete an den Artushof. Lunete klagt Iwein öffentlich an, nennt ihn einen Verräter und nimmt ihm seinen Ehering ab. Er verliert vor den Augen des Königs und der ganzen Runde seine Ehre und muss zudem erkennen, dass er als Ehemann versagt hat. Dass selbst Lunete, die immer an ihn geglaubt hat, sich jetzt von ihm abwendet, macht Iweins Demütigung perfekt.
Paarberatung als zweite Chance für die Ehe
Iwein glaubte nach dieser Abfuhr nicht, dass er seine Ehe noch retten könnte. Der Löwenritter war fertig: Sein schlechtes Gewissen trieb ihn in die Einsamkeit, und vor Scham und Reue verfiel er dem Wahnsinn. Er verdrängte und vergaß alles, was bisher passiert war, und lebte eine Zeit lang wie ein Tier im Wald. Erst durch die Zaubersalbe einer Fee kam er wieder zu Verstand und erinnerte sich daran, was er seiner Frau und sich selbst angetan hatte.
Iwein hatte weder einen guten Freund noch einen kompetenten Eheberater. Niemand ermutigte ihn, sich seiner Frau wieder zu nähern oder gar auf eine Versöhnung zu hoffen. Iwein selbst glaubte sich chancenlos: Er ging keine neue Beziehung ein, und verzehrte sich in Reue, Liebeskummer und Sehnsucht nach Laudine und war davon überzeugt, die Liebe seines Lebens verloren zu haben und bald an gebrochenem Herzen sterben zu müssen.
Trotzdem wurde diese Ehe noch gerettet – nach zahlreichen weiteren Verwicklungen und einigen günstigen Zufällen. Lunete bewies dabei ihr Naturtalent als kreative Vermittlerin, Paarberaterin und Psychologin. Sie glaubte trotz aller Beziehungsprobleme an ein Happy End und brachte Iwein und Lunete wieder zusammen. Und der Aufwand lohnte sich: Beim zweiten Versuch hielt die Ehe, und die beiden Liebenden fanden ihr dauerhaftes Glück in der Burg beim verzauberten Brunnen.
Unglückliche Liebe und Ehebruch
Die tragische Liebesgeschichte von Königin Ginevra und ihrem Ritter Lanzelot gehört zu den berühmtesten Love Stories, die die mittelalterliche Sagenwelt hervorgebracht hat. Sie ist auch eine der romantischsten – obwohl oder gerade weil sie kein Happy End hat.
Lanzelot kommt in jungen Jahren an den Artushof – als perfekter Ritter, aber gänzlich unerfahren in Liebesdingen. Zwischen ihm und Artus‘ schöner Königin ist es Liebe auf den ersten Blick, und beide sind sich von Anfang an der Hoffnungslosigkeit ihrer Sehnsüchte bewusst. Trotzdem gelingt es ihnen nicht, ihre Gefühle füreinander dauerhaft zu leugnen.
Dem ersten Seitensprung folgen weitere heimliche Treffen, jedes verbunden mit Scham, Verzweiflung und Reue. Nicht selten verlässt Lanzelot danach überstürzt den Hof und versucht, sich mit langen Fahrten, komplizierten Questen und Heldenmissionen von seinem Liebeskummer, seiner Sehnsucht und vor allem seinen Schuldgefühlen abzulenken. Doch er kann weder von Ginevra lassen noch bei einer anderen Frau Trost finden. Sobald er wieder am Hof ist, geht das Elend von vorne los.
Die Angst, erwischt und hart bestraft zu werden, begleitet Lanzelot und Ginevra für mehrere Jahrzehnte ihres Lebens. Denn was die beiden fühlen und treiben, ist zu allem Unglück auch noch viel mehr als ein Ehebruch: Wer mit der Königin schläft, begeht nach herrschender Auffassung Hochverrat und spinnt Intrigen, um selbst König zu werden. Die Vorstellung, als Königsverräter angeklagt zu werden, ist für Lanzelot besonders schwer zu ertragen: Er ist Artus mit Leib und Seele ergeben und leidet sehr darunter, durch seine verbotene Liebe kein Ritter ohne Furcht und Tadel mehr zu sein.
Schuldgefühle beim Seitensprung
Sowohl der König als auch die Ritterschaft sahen lange weg, obwohl die unglückliche Liebe der Königin längst kein Geheimnis mehr war. Eines Tages wurden die Liebenden jedoch in flagranti beim Fremdgehen ertappt und Artus musste handeln. Er verurteilte seine Frau zum Scheiterhaufen, doch Lanzelot rettete sie und floh mit ihr in die Bretagne, sein Heimatland.
Theoretisch hätten er und Ginevra jetzt endlich nach allen Komplikationen und Hindernissen offiziell zusammen sein und sich ihrer Liebe erfreuen können. Doch Lanzelot hatte bei seiner Befreiungsaktion einige seiner besten Freunde erschlagen und das Paar war tief verzweifelt und seelisch völlig zermürbt. Unüberwindbare Liebesprobleme waren die Folge. Zudem rüstete der König bereits sein Heer, um Lanzelots Burg in Frankreich anzugreifen. Der Untergang der Tafelrunde stand unmittelbar bevor. Unter diesen Umständen war es zu spät für eine glückliche Beziehung.
Nach Artus Tod in der Schlacht und dem Zerfall der Tafelrunde verbrachten sowohl Lanzelot als auch Ginevra ihr restliches Leben als Büßer. Einer Variante der Geschichte zufolge starben sie – fern voneinander, doch zur selben Stunde – in zwei verschiedenen Klöstern.
Verlustangst, Eifersucht und Kommunikationsprobleme in der Liebe
Das Leben von Ritter Parzival ist geprägt von Missverständnissen und überschattet von deren tragischen Konsequenzen. Sein Name bedeutet „Mittenhindurch“ und ist Programm für eine Heldenbiographie, die sich gewaschen hat. Ein Hauptgrund für die Kommunikationsprobleme, unter denen der Mann leidet, ist, dass seine Mutter ihn in der Einsamkeit eines Waldes aufzieht – abseits der Menschen und aller weltlichen Geschehnisse. Aus Angst, ihn zu verlieren, errichtet sie eine heile Scheinwelt um ihn herum. Als er eines Tages dahinterkommt und aufbricht, um ein Ritter zu werden, hat er keine Ahnung vom normalen Leben und den üblichen Umgangsformen.
Auf seinem Weg befolgt Parzival die höchst zweifelhaften Ratschläge seiner Mutter und handelt dabei so gutgläubig wie leichtfertig – und oft auch zerstörerisch. So dringt er in das Zelt einer schlafenden Dame ein, küsst sie und raubt ihren Ring, ohne sich Gedanken über die Folgen zu machen. Als der Ehemann der Dame zurückkehrt, sie des Ehebruchs bezichtigt und aus blinder Eifersucht eine harte Strafe über die Unschuldige verhängt, ist der ahnungslose Parzival bereits fröhlich weitergezogen. Jahre vergehen, bevor er das Unheil, das er an diesem Tag angerichtet hat, entdeckt und zumindest teilweise wieder gutmachen kann.
Parzival muss bald erkennen, dass sein impulsives Verhalten weltfremd und für andere befremdlich ist. Leider verfällt er daraufhin ins gegenteilige Extrem – er gewöhnt es sich völlig ab, anderen Menschen Fragen zu stellen. Als er seine spätere Ehefrau Kondwiramur kennenlernt, die gerade eine schwere Zeit durchmacht, fragt er sie selbst dann nicht nach den Gründen ihres Kummers, als er nachts erwacht, weil sie weinend auf seinem Bettvorleger kniet. Zum Glück legt sie ihm das nicht als Gefühlskälte aus, sondern übernimmt die Kommunikation für beide, um die Beziehung zu retten. Sie spielt so lange gleichzeitig die Rolle der Partnerin und Paarberaterin bis Parzival erkennt, dass und wie er ihr helfen kann.
Legendär ist Parzivals Auftritt in der verwunschenen Gralsburg, die er nur findet, weil er vom Schicksal dazu bestimmt ist, Gralskönig zu werden. Doch er bringt es nicht fertig, den amtierenden und offensichtlich schwer verwundeten König zu fragen, was ihn quält. Durch seine Kommunikationsblockade verwirkt er in wenigen Minuten die höchste Ehre, die ein Ritter erringen kann. Wie Iwein verliert Parzival über seiner größten Demütigung den Verstand. Er zieht sich in die Einsamkeit zurück und verflucht Gott und die Welt, sein Versagen und sein gesamtes Leben.
Selbstvertrauen als Schlüssel zu einer glücklichen Beziehung
Parzival hatte mehrmals in seinem Leben das Glück, auf erfahrene und empathische Berater zu treffen. Bei der Überwindung seiner inneren und äußeren Isolation nach dem Versagen in der Gralsburg unterstützte ihn ein Einsiedler, der aufgrund seiner Erfahrung und Menschenkenntnis ein guter Psychologe war. Durch lange und intensive Gespräche lernte der verzweifelte Ritter, sich mit sich selbst und den Fehlern der Vergangenheit zu versöhnen, wieder an sich zu glauben und zu den Menschen zurückzukehren, um sein Glück zu finden.
Auch aus Sicht eines modernen Eheberaters oder Paartherapeuten war es wichtig für Parzival, zuerst seine Schuldgefühle in den Griff zu bekommen und neues Selbstvertrauen aufbauen. Erst dann war er bereit, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen und zu seinem König, seinen Gefährten und nicht zuletzt zu seiner Liebsten zurückzukehren. Die wunderschöne, treue und liebende Kondwiramur hatte schon viel Geduld mit ihrem Helden bewiesen und musste auch jetzt noch ein wenig länger warten: Die Ehe zwischen den beiden wurde erst geschlossen, nachdem Parzival beim zweiten Anlauf endlich Gralskönig geworden war. Dann gab es jedoch eine Hochzeit mit aller Pracht und Herrlichkeit, und die Ehe hielt für ein ganzes langes, glückliches und erfülltes Leben.