Zuhören und gehört werden: Wie bringe ich meinen Partner dazu, mir richtig zuzuhören?
Die meisten Paare, die zur Eheberatung gehen, stehen kurz vor einer Scheidung oder Trennung. Viele denken darüber nach (oder sprechen darüber), weil sie von ihren Beziehungskonflikten erschöpft sind. Wer mit seinen Nerven, seinem Latein und seiner Geduld am Ende ist und das Gefühl hat, all sein Pulver schon mehrfach verschossen und dennoch keine nennenswerte Änderung erreicht zu haben, denkt automatisch irgendwann an Flucht. Doch auch, wenn die Trennung als Schlussstrich und dauerhafter Ausweg lockt, fällt dieser Schritt schwer – vor allem, wenn man den Partner noch liebt und sich eigentlich nicht das Ende der Beziehung, sondern der Probleme wünscht.
„Mein Partner hört mir nicht zu.“ – „Mein Partner versteht mich einfach nicht richtig.“ – „Mein Partner interessiert sich gar nicht für das, was ich sage.“ Diese und ähnliche Sätze gehören zu den häufigsten Klagen, die Eheberater und Paartherapeuten in der täglichen Praxis hören. Menschen in problematischen Beziehungen empfinden den Mangel an Verständnis, Aufmerksamkeit, Akzeptanz und Anerkennung oft als Hauptproblem, und dieser Mangel äußert sich vor allem in fehlender oder unbefriedigender Kommunikation. Und hier geben viele zuerst einmal oder sogar ausschließlich dem Partner die Schuld, was die Sache nicht einfacher macht. Denn gegenseitige Schuldzuweisungen vertiefen das Problem eher noch, anstatt die Beteiligten einer Lösung näher zu bringen.
Wer seinen Partner dazu bringen möchte, in Zukunft richtig zuzuhören und richtig zu verstehen, darf den Mangel nicht nur auf dessen Seite suchen oder sehen. Denn erstens ist jede einseitige Betrachtungsweise ein Bremsklotz beim Lösen von Kommunikations- und Paarproblemen, und zweitens ist es in der Regel viel einfacher, sein eigenes Verhalten zu ändern als das eines anderen Menschen.
Einige wichtige Fragen zu diesem Thema, die oft in der Ehe- bzw. Paarberatung zum ersten Mal gestellt und auch beantwortet werden, sind die folgenden:
- War mein Partner schon ein schlechter Zuhörer, als wir uns kennengelernt haben bzw. frisch verliebt waren? Falls nicht, ist es sehr unwahrscheinlich, dass sich im Lauf der Beziehung sein Charakter so grundlegend geändert hat.
- Wie kann ich sicher sein, mich klar auszudrücken, obwohl ich nicht oder nur selten das Gefühl habe, richtig verstanden zu werden? Diese beiden Aspekte lassen sich nicht voneinander trennen und müssen immer gemeinsam betrachtet werden.
- Welche konkreten Verhaltensweisen halten mich (oder meinen Partner) davon ab, richtig zuzuhören, und mit welchen konkreten Verhaltensweisen können wir gegensteuern?
Warum hört mein Partner mir nicht (mehr) richtig zu?
Zuhören, egal ob gut oder schlecht, richtig oder falsch, gehört zum angeborenen Verhalten jedes hörenden Menschen. Anders als Augen sind Ohren immer wach und offen. Das sprichwörtliche und viel beklagte „Weghören“ ist also ein Verhalten, das der Natur dieses Sinnesorgans widerspricht und daher im Gehirn erlernt und trainiert werden muss.
Wären Sie ein Verhaltensforscher und wollten im Rahmen eines wissenschaftlichen Projekts Menschen zum Weghören bzw. schlechten Zuhören bringen, würden Sie wahrscheinlich auf diese Methoden setzen:
- Beginnen Sie die Unterhaltung mit etwas, das garantiert schlecht ankommt und wenig Lust auf mehr macht – zum Beispiel mit Klagen, Nörgeln oder einem Thema, das Ihren Gesprächspartner langweilt, ärgert oder mit dem er sich nicht auskennt.
- Fangen Sie damit an, wann immer Sie wollen – egal, womit Ihre Versuchsperson sich gerade beschäftigt.
- Fordern Sie Reaktionen ein, ohne klare Zeichen zu setzen oder Fragen zu stellen, etwa mit abrupten Pausen, allgemein fragenden Gesten, fordernden Blicken u. Ä.
- Wenn Ihr Gesprächspartner nicht spontan reagiert wie gewünscht (oder bereits Zeichen von Ermüdung und Unwillen zeigt), wiederholen Sie das Gesagte – gern auch lauter. So bringen Sie Ihrem Gegenüber rasch bei, dass das, was Sie sagen, mit der Zeit weder wichtiger noch interessanter, sondern nur schwerer zu ertragen wird.
- Sobald Sie bemerken, dass Ihr Partner aus dem Gespräch aussteigt bzw. seinen Kopf „auf Durchzug“ stellt, sparen Sie nicht mit Vorwürfen für dieses Verhalten. Wenn gar nichts mehr von ihm zurückkommt, schimpfen oder drohen Sie noch ein wenig oder machen Sie ein verletztes bzw. beleidigtes Gesicht. Dann verlassen Sie den Raum. Damit bestätigen Sie Ihren Gesprächspartner in der Überzeugung, dass er bei der Unterhaltung weder gefragt noch wichtig war und dass er nichts Gutes verpasst hätte, hätte sie gar nicht stattgefunden.
- Wiederholen Sie das Ganze mindestens einmal pro Tag.
Mit dieser Methode (und natürlich ausreichend vielen Wiederholungen) kann man Menschen das angeborene Hin- und Zuhören effizient abtrainieren. Als wissenschaftliches Projekt klingt das lustig, aber fast jeder hat solche Unterhaltungen schon erlebt, und in vielen Beziehungen gehören sie zum Alltag. Kein Mensch ist völlig frei von den aufgeführten Kommunikationsfehlern: Je mehr Frust, Ärger und gefühlte Über- oder Unterforderung sich schon angesammelt haben, desto leichter können sie sich einschleichen und fest etablieren. Und weil sich dieser Prozess über Jahre hinziehen kann, werden die Sackgassen und Fallen der Kommunikation von den Beteiligten oft erst spät bemerkt und einseitig wahrgenommen.
Dauerhaft unbefriedigende Kommunikation in der Ehe bzw. Partnerschaft bedeutet chronischen Mangel und daher chronischen Stress. Wie der jedoch verarbeitet und ausgedrückt wird, ist von Mensch zu Mensch verschieden. Manche setzen dabei auf Angriff, andere auf Rückzug. Wer immer wieder erfolglos angreift, erlebt die Stresssituation und seine Rolle darin anders als einer, der sich immer wieder erfolglos zurückzieht. Beiden gemeinsam ist das zunehmende und sehr deprimierende Gefühl der Nutz- und Sinnlosigkeit ihrer Bemühungen. Und genau an diesem Punkt kommen oft die Trennungsgedanken ins Spiel – oder die Überlegung, sich Hilfe von außen zu holen, etwa bei einer Eheberatung oder Paartherapie.
Wie mache ich das Zuhören (wieder) lohnenswert?
Ein Eheberater hört in seiner Praxis oft Sätze, die sehr endgültig klingen – zum Beispiel „Mein Partner sagt ja nie etwas“ oder „Mein Partner redet immerzu“. Um die drohende Trennung abzuwenden bzw. die Ehe zu retten, müssen solche Sätze relativiert werden, damit wieder Platz für Optimismus, Hoffnung und positive Überraschungen entsteht. Ihr Partner sagt nichts? Bestimmt sind Sie fähig, ihn (wieder) zum Sprechen zu bringen. Ihr Partner redet und redet, und Sie kommen zu kurz? Sicher sind Sie es wert, gehört zu werden, und können auch Ihren Partner davon überzeugen. Immerhin sind Sie bereit und entschlossen, Ihrer Liebe und Ihrer Partnerschaft noch eine Chance zu geben und Ihre Beziehungsprobleme zu lösen – sonst wären Sie ja nicht hier.
Menschen, die ihre Gedanken und Gefühle ausdrücken, halten Ihre Äußerungen üblicherweise für wichtig – ganz allgemein oder jetzt in diesem Moment, für sich selbst und auch für den Gesprächspartner. Aussagen wie „Mein Partner hört mir nicht richtig zu“ oder „Du verstehst mich nicht“ sind wichtig, weil sie auf Belastungen und ungelöste, aber wahrscheinlich lösbare Probleme hinweisen. Andererseits ist ein solcher Vorwurf sehr abstrakt. Konkrete Richtungs- oder Handlungsvorschläge fehlen ebenso wie klare Aussichten auf Erfolg oder Lohn. Der Empfänger steht damit gewissermaßen im Regen.
Fragen Sie sich: Was genau soll mein Partner denn verstehen? Was soll Gehör finden? Was will ich ausdrücken, und warum lohnt es sich für meinen Partner, das zu hören? Was bedeutet es für ihn, wenn er es versteht? Werden Sie konkret, wenn Sie verstanden werden möchten. Und sprechen Sie Ihren Partner direkt an, wenn Sie möchten, dass er Ihnen wirklich zuhört. Stellen Sie einen deutlichen Bezug her, damit er weiß, dass er gemeint bzw. gefragt ist. Überlegen Sie, wie Sie als Verhaltensforscher Menschen zum aufmerksamen und empathischen Zuhören bringen bzw. diese Fähigkeit mit Freude trainieren würden.
Tipps für den Alltag – Reden und Zuhören
Hier sind ein paar praktische Tipps, die jeder im Alltag beherzigen kann, um klarer gehört und besser verstanden zu werden.
1. Verwenden Sie Bilder, Metaphern und Vergleiche, die Ihr Partner versteht.
Bildhafte Sprache ist konkret. Sie schaltet das Kopfkino an, weckt Erinnerungen und persönliche Assoziationen. Vielleicht hat Ihnen Ihr Partner einmal von einem Erlebnis erzählt, bei dem er sich selbst unverstanden, allein gelassen oder ungerecht behandelt fühlte. Dann wird er aufmerksam zuhören und Sie besser verstehen, wenn Sie statt „Du verstehst mich nicht“ etwa sagen: „Ich fühle mich so wie du damals, als …“
Bilder und Metaphern appellieren an die Emotionen und in hohem Maß ans Mitfühlen. Viele gehören praktisch zum Allgemeingut, ohne dass das ihre Wirksamkeit mindert. Jeder Mensch kann aus seiner Erfahrung heraus alte Metaphern mit Leben füllen oder neue aufmachen. Wie fühlen Sie sich, wenn Ihr Partner Ihnen nicht zuhört, wenn er unaufmerksam ist, wenn er Sie nicht oder falsch versteht? Als stünden Sie vor einer verschlossenen Tür? Als kämpften Sie gegen Windmühlenflügel? Als sei Ihr Heimatplanet Ihnen plötzlich fremd? Als verhungerten Sie vor einem gedeckten Tisch? Als seien Sie ganz allein in der Wüste, in der Wildnis, in einem Geisterhaus? Oder kommt Ihnen ein ganz anderes starkes Bild in den Kopf? Erzählen Sie das Ihrem Partner und lassen Sie ihn teilhaben, damit er mit Ihnen fühlen kann, anstatt sich gegen abstrakte Vorwürfe wehren oder vor ihnen fliehen zu müssen.
Wahrscheinlich wünschen Sie sich von Ihrem Partner nicht nur Mitgefühl und Verständnis, sondern ein bestimmtes Verhalten. Überlegen Sie sich vorher, wie das konkret aussehen soll – nicht nur Männer schätzen klare Ansagen. Es muss etwas sein, das Ihr Partner auch umsetzen kann, von dem Sie sofort etwas haben, für das Sie ihn direkt bestätigen und loben können – vielleicht sogar wieder mit einer starken Metapher. „Wenn du das machst (das gewünschte Verhalten), fühle ich mich so befreit/verstanden/angenommen wie du damals, als …“
Wenn Sie Ihren Partner noch nicht lange kennen oder bisher wenig Routine mit bildhaftem Sprechen haben, nehmen Sie sich vor dem Gespräch ein wenig Zeit, um zu überlegen, was Sie erreichen möchten und wie Sie es Ihrem Partner nahebringen können. Auch zum Ausdrücken positiver Gefühle gibt es zahlreiche Metaphern, die jeder versteht: Das fühlt sich an, als werde mit eine Last von den Schultern genommen. Als hätte ich im Lotto gewonnen. Wie beim Anblick des ersten Schneeglöckchens nach einem langen, harten Winter. Wie bei unserem ersten Kuss.
2. Beim Reden und Zuhören gibt es viele Arten und Gründe
Menschen reden, um verstanden zu werden. Aber auch, um Dampf abzulassen, um ihre Gedanken beim Sprechen besser sortieren zu können, um sich selbst klarer zu sehen oder einfach, weil sie gern erzählen. Auch für das Zuhören gibt es viele Gründe: Wir hören zu, um über Fakten oder aktuelle Geschehnisse informiert zu werden, um Gedanken und Stimmungen zu teilen, um Nähe und Wärme zu empfinden oder um uns an der Stimme, dem Tonfall, den Worten eines geliebten Menschen zu erfreuen.
Jeder Mensch hat ein Rede- und Zuhörbedürfnis. Doch das ist nicht bei jedem Menschen gleich. Wenn Ihr Partner weniger oder mehr redet, wenn er länger oder kürzer braucht, um auf den Punkt zu kommen, wenn er sich manchmal kompliziert oder unbeholfen ausdrückt oder auf bestimmte Themen/Ausdrücke allergisch reagiert, hüten Sie sich vor grober Kritik, Spott oder Nörgeleien am Eingemachten. Wenn Sie bemerken, dass bestimmte Verhaltensweisen die Kommunikation schwierig machen oder verhindern, sagen Sie Ihrem Partner, wie Sie sich dabei fühlen und was das bei Ihnen auslöst, und suchen Sie zusammen nach möglichen Alternativen.
Wenn Sie sich wünschen, Ihr Partner möge ein bestimmtes Verhalten lassen, überlegen Sie, was er stattdessen tun könnte – oder fragen Sie ihn, welche anderen Optionen er selbst sieht. Verbote und Verurteilungen sind keine brauchbaren Handlungsanweisungen, wenn sie keine Alternativen oder Auswege enthalten. Akzeptieren Sie, wenn Ihr Partner beim Reden und Zuhören anders „tickt“ als sie, und bewerten Sie die Inhalte oder Ergebnisse der Kommunikation, bevor sie deren Art oder eventuelle Gründe kritisieren. Und trauen Sie sich selbst und einander (wieder) mehr zu, auch beim Sprechen und Zuhören.
3. Hören Sie selbst (wieder) richtig zu
Menschen, die sich chronisch unverstanden fühlen bzw. bei der Kommunikation mit dem Partner nicht auf ihre Kosten kommen, neigen häufig zur Ungeduld oder zu resignativem Verhalten in Gesprächen. Einerseits fordern sie mehr Aufmerksamkeit und Verständnis ein, doch andererseits trauen sie dem Partner in diesem Bereich kaum noch etwas zu oder haben innerlich bereits aufgegeben. In der Eheberatung oder bei der Paartherapie können beide Partner lernen, destruktive Strukturen aufzubrechen und Zuhören wieder als lohnenswerte Investition zu sehen und zu praktizieren.
Lassen Sie Ihren Partner zu Wort kommen und unterbrechen Sie ihn nicht – auch und vor allem dann, wenn Sie glauben, schon genau zu wissen, was er als nächstes sagen wird. Einem Menschen ins Wort zu fallen, ist eine sehr negative Botschaft. Damit machen Sie ihm deutlich, dass er so vorhersehbar ist, dass es eine Zeitverschwendung darstellt, ihm zuzuhören. Diese Empfindung mag im Zorn oder bei akuten Streits nachvollziehbar sein, doch konstruktiv oder gerecht ist sie nicht. Denn wenn Ihr Partner es wirklich nicht wert wäre, ihm zuzuhören, warum sollte es Ihnen dann noch wichtig sein, dass er Ihnen zuhört? Dann könnten Sie sich auch gleich voneinander trennen.
Viele Paare gehen mit der Zeit immer geiziger mit ihrer Redezeit um. Dann wird entweder kaum noch geredet, oder es reden beide gleichzeitig. Viele Paare brauchen mehr Raum und Gelegenheiten für vertraute und intensive Gespräche. In der Ehe- und Paarberatung lernen Sie, solche Räume zurückzuerobern, neu zu erschaffen und zu erhalten. Machen Sie Schluss mit dem Teufelskreis des Zeit- und Gefühlesparens und setzen Sie wieder auf Großzügigkeit – sie ist eine der Lieblingsschwestern der Liebe.